Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman
breitschultrig und kräftig, und hatte ein ausdrucksvolles Gesicht von sanfter, gewinnender Freundlichkeit. Sein langes, dichtes graues Haar fiel ihm in Wellen auf die Schultern. Er mochte so alt sein wie ich, etwa fünfunddreißig Jahre. Über dem Lederwams trug er einen Mantel mit goldener Fibel, an seinem silberbeschlagenen Gürtel einen Dolch.
„Das ist unser Graf, der edle Herr Volz“, raunte der Schieler, während er mir beim Absteigen half.
„Erkennst du ihn wieder?“, fragte ich Odo.
„Wie könnte ich den vergessen“, erwiderte er. „Genauso anmutig schritt er dem Alten entgegen, bevor er das Knie zum Handgang beugte und beide in Tränen ausbrachen.“
Die Begrüßung und Vorstellung übernahm Odo, wie üblich. Den kleinen Tribut an seine Eitelkeit, als erster Mann zu erscheinen, gönne ich ihm, obwohl wir ja beide ranggleich sind
Er grüßte höflich, nannte seinen und meinen Namen und erklärte, wir seien Königsboten und mit der Vollmacht ausgestattet, in einigen sächsischen Gauen, darunter diesem, tätig zu werden. Dazu erbäten wir vom ersten Würdenträger am Platze Hilfe und Unterstützung.
Graf Volz hörte lächelnd zu. Er schien überrascht, doch auch erfreut zu sein, jedenfalls keineswegs beunruhigt. Aus seinen heiteren blauen Augen strahlte die reinste Aufrichtigkeit.
Ich übergab ihm unsere Ernennungsurkunden zu Königsboten mit dem Titelmonogramm und dem eigenhändigen Vollziehungsstrich König Karls. Der Graf warf einen Blick darauf, betrachtete achtungsvoll das königliche insignium und gab mir das Pergament zurück. Dann trat er auf uns zu und umarmte uns.
„Ihr Herren, seid uns willkommen!“, sagte er mit volltönender Stimme, wobei er sich um eine fränkische Aussprache bemühte. „Gelobt sei Gott, der Euch sicher durch unsere Wildnis geleitete. Und gepriesen sei der Herr Karl, weil er uns so achtbare, tüchtige Männer gesandt hat. Herr Odo von Reims, wie gut ich mich an Euch erinnere!“
„Ah, Ihr erinnert Euch an mich?“, fragte Odo erstaunt.
„Wie könnt Ihr zweifeln! Gab es denn unter den jungen Vasallen unseres Herrn Königs, die damals mit ihm zur Elbe zogen, einen Einzigen, der sich mit Euch messen konnte? Wart Ihr nicht immer der Erste? Der Schnellste, der Mutigste, der Beste? Ich bewunderte Euch! In Euch sah ich die Verkörperung aller Tugenden eines Mannes, der zu Großem berufen ist. Wie freue ich mich, dass der Herr Karl Euch mit diesem wichtigen Amt betraut hat. Einen Würdigeren konnte er nicht finden!“
Odo verschlug es die Sprache. Das hatte er nicht erwartet. Er drehte verlegen seine Schnurrbartspitzen und konnte ein geschmeicheltes Lächeln nicht unterdrücken.
Volz richtete nun auch an mich ein paar wohlgesetzte Begrüßungsworte. Er nannte mich einen „Auserwählten des Herrn“ und einen „gelehrten und rechtskundigen Mann“, dessen Ruhm schon bis zu ihm gedrungen sei und dessen Rat und Urteil von großem Nutzen sein werde. Dabei sah er mich ernst und bedeutsam an. Schließlich stellte er sein Gefolge vor. Die Männer hießen Liudolf, Liutprand, Liutger und Liutwalt, rochen stark nach Bier und Stall, bemühten sich aber, gerade zu stehen und höflich zu sein. Sie alle sahen übernächtigt aus und einige hatten noch Stroh in den Haaren.
„Wir haben die ganze Nacht lang beraten“, sagte Volz mit entschuldigendem Lächeln. „Diese Herren sind meine treuen Helfer, alle gute Christen. Unter ihnen ist keiner, der sich nicht für seinen König in Stücke hauen ließe. Mit ihrer Hilfe ist es mir gelungen, nach den schrecklichen Unruhen der Kriegsjahre in unserem Gau wieder Ordnung zu schaffen und …“
In diesem Augenblick war aus etwa hundert Schritten Entfernung ein Schrei zu hören. Gleich darauf folgte ein dumpfes Gebrüll. Beide Laute wurden von Männerstimmen ausgestoßen, einer hellen und einer rauen.
„Das war bei der Kirche“, sagte einer vom Gefolge des Grafen und deutete auf ein Bauwerk am anderen Ende des Salhofs, das alle Strohhütten überragte. „Wig, der Priester, hat geschrien!“
Ein kurzes Gepolter folgte noch, dann war nichts mehr zu hören.
„Geh hin und sieh nach, was es gibt!“, sagte Volz zu dem, der gesprochen hatte. Einen Atemzug lang waren seine Züge gespannt, doch lächelte er gleich wieder. „Nun, meine Herren Königsboten, kaum spricht man von Ordnung, gibt es irgendwo Streit. Aber gehen wir doch ins Haus! Es ist höchste Zeit, Euch den Willkommenstrunk …“
Wieder unterbrach er sich. Diesmal war es
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