Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman
heftigen Anstrengung. Wig hob ruckartig den Kopf und lauschte.
„Was macht er da drinnen?“
„Seine Lage ist unbequem“, sagte ich. „Wer hat veranlasst, ihn an die Bank zu fesseln?“
„Das war ich. Es gelang, als er eingeschlafen war. In einem Anfall könnte er alles zerschlagen. Jetzt ist er wohl aufgewacht. Erlaubt, dass ich mich kurz entferne und nachsehe.“
Er sprang auf. Den dürren Körper, um den die Kutte schlotterte, weit vorgeneigt, stürmte er um die Ecke. Von drinnen hörte ich sein Schimpfen, unterbrochen von ein paar Grunzlauten des Erk. Auch auf die Wächter prasselten Wigs strafende Worte nieder.
„Die Riemen sind stark, er kommt nicht los“, sagte der Priester mit zufriedener Miene, als er zurückkam. „Im Augenblick kann er keinen Schaden anrichten. Ich werde den Herrn Grafen bitten, eine neue Tür einsetzen zu lassen. Eine mit Eisenbeschlägen. Damit die Kirche nicht noch einmal besudelt wird. Die Gnade Gottes darf nicht missbraucht werden. Warum soll Gott mit so einem Mitleid haben? Wird’s ihm gedankt?“
„Du bist sehr streng, Bruder Wig“, sagte ich, „und dein Urteil ist fertig. Wie lange warst du im Kloster Prüm?“
„Fünf Jahre.“
„Richtig. Vor neun Jahren gingst du als Geisel fort, vor vier Jahren kamst du als Priester zurück – zwei Jahre nach der Hinrichtung deines Vaters im Jahr des Herrn 782. Du warst nicht hier, als all das Schreckliche geschah. Hast du niemals Zweifel gehabt? Ist dir nie der Gedanke gekommen, du könntest ein falsches Bild und demzufolge ein falsches Urteil haben?“
„Oh, nein!“, sagte Wig und lächelte nun sogar. „Warum sollte ich zweifeln? Ich wurde gründlich unterrichtet, Vater, nichts ist mir verborgen geblieben. Wisst Ihr, dass der Herr Graf selbst nach Prüm kam, um mich abzuholen und hierher zurückzubringen? Und dass er mir auf der Reise alles genau erzählte und mir Trost zusprach und mich aufrichtete, als ich glaubte, die Schande nicht mehr ertragen zu können?“
„Bei der Gelegenheit hat er dir dann auch mitgeteilt, dass du künftig sein Höriger sein würdest.“
„Ich habe die Nachricht mit Jubel aufgenommen! Als ein Zeichen göttlicher Gnade und menschlicher Großmut. Er hätte mich ja davonjagen oder verkaufen können.“
„Das hätte er wohl kaum getan. Dazu warst du ihm nach fünf Jahren Klosterausbildung zu wertvoll.“
„Wenn Ihr damit meint, dass ich hier der Einzige bin, mit dem er sich über Gott und das Seelenheil unterhalten kann, dann habt Ihr wohl Recht. Und er liebt solche Gespräche! Schon auf der erwähnten Reise erwies er mir immer wieder die Ehre, mir seine frommen Gedanken mitzuteilen. Er war ja auch gerade von seiner großen Wallfahrt nach Rom zurück und noch voller erhabener Eindrücke.“
„Dann hatte er sicher auch die Reliquie bei sich.“
„Den heiligen Theofried? Gewiss.“
„Hat er ihn dir gleich gezeigt?“
„Das nicht, er tat sehr geheimnisvoll. Es war ja sein größter Erfolg, ein heiliger Leib aus den Händen des Papstes. Und er hatte Angst vor Reliquienräubern, weil man ihn schon einmal überfallen hatte.“
„Überfallen? Der Reliquie wegen?“
„Ja, irgendwo in den Bergen. Der edle Mann riskierte sein Leben, um der gewissenlosen Bande wenigstens einen Teil der ehrwürdigen Reste wieder zu entreißen. So rettete er wenigstens den Schädel und ein Paar Knochen der Gliedmaßen.“
„Hast du diese Stücke gesehen? Ich meine, auf der Reise von Prüm hierher?“
„Ich sagte doch, Vater, er tat sehr geheimnisvoll. Zuerst erwähnte er gar nichts davon. Ich konnte mir natürlich nicht vorstellen, dass ein so großer Herr, der eine Eigenkirche besitzt, ohne Trophäe aus der heiligen Stadt zurückkehren würde. Wie viele Gäste hatten wir in Prüm, die die schönsten Reliquien mit sich führten! So fragte ich ihn dreist, sogar mehrmals, und nachdem er einige Male verneint hatte, gab er es schließlich zu. Doch er beschwor mich, niemandem etwas zu verraten, weder Mitreisenden noch Herbergsleuten.“
„Aber gezeigt hat er dir die Reste auch nicht.“
„Nein, Vater! Sie waren ja gut versteckt in seinem Gepäck. Er hütete sich, sie hervorzuholen. Auch als wir hier angekommen waren, behandelte er sie mit der größten Vorsicht. Er brachte sie hierher in die Kirche und schloss sie ein. Niemand durfte die Kirche betreten, auch ich nicht, damit sich der Heilige völlig ungestört an seine neue Heimstatt gewöhnen konnte. Inzwischen wurde vom Tischler ein Schrein
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