Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman
vergebens.
Sobald auch der Priester Erk erkannte, war er nicht mehr imstande, seine Wut zu bezähmen. Er schrie auf und entriss einem der Knechte sein Messer. Mit dem Ruf „Dieser Unhold wird die Kirche zerstören!“ stürmte er hinein. Ich besann mich nicht lange – und schon war ich auch drin, gerade noch rechtzeitig. Wig holte bereits mit dem Messer aus und wollte auf den Gefesselten einstechen. Er hätte ihm wohl den Hals durchbohrt, wenn ich mich nicht mit einem verzweifelten Schwung in seinen Rücken geworfen hätte. So ging der Hieb in die Luft und wir beide prallten gegen den an die Bank gefesselten Erk wie gegen eine Felswand. Im nächsten Augenblick wälzten wir uns auf dem Boden.
Doch nun begann erst der Kampf. Der völlig außer sich geratene Priester hatte noch immer das Messer und versuchte, sich zu erheben. Ich haschte vergebens nach seinem Handgelenk, das er aber leicht aus meiner Reichweite brachte. So durch die Kürze meiner Glieder benachteiligt, blieb mir nichts anderes übrig, als ihm einen Faustschlag auf den unteren Leib zu setzen. Er heulte auf und krümmte sich. Doch gleich darauf stieß er mir seinen Ellbogen, der einer Lanzenspitze glich, so heftig ins Gesicht, dass mir die Tränen kamen. Meine kurze Benommenheit nutzte er, um sich aufzuraffen. Da zog ich aus Leibeskräften an seiner Kutte und auch der nächste Hieb ging daneben. Doch länger konnte ich ihn nicht zurückhalten. Das Gewebe war dünn und riss unter dem Gürtel. Mit einem großen Stofffetzen in Händen, genauer gesagt fast der gesamten unteren Hälfte des Ordenskleides, stürzte ich rücklings und schmerzhaft nieder.
Zu meiner Verwunderung lag Wig fast gleichzeitig neben mir, diesmal hingestreckt durch Erk, der sich darauf besonnen hatte, dass auch ein Fußstoß gegen das Bein einen Angreifer aufhalten kann. Der Priester musste empfindlich getroffen sein, doch seine Wut betäubte den Schmerz. Das Messer, das ihm bei seinem Sturz entfallen war, landete klirrend auf dem Boden, und gleich kroch er hin, um es aufzuheben. Dies tat auch ich und wir packten den Griff zur gleichen Zeit. Zum Glück hatte ich die Kraft, die mir der Genuss eines halben Lamms verlieh, während er vermutlich nur Haferbrei mit Kohl gespeist hatte. Nach einigem Hin- und Hergezerre erbeutete ich das Messer und drückte es an mich. Er erwischte noch einen Leuchter, doch inzwischen hatten meine Rufe die beiden Knechte erreicht, sie sich endlich ermannten, hereinstürzten und ihn entwaffneten. Hinkend, jammernd und unter dem Gürtel fast unbedeckt, was bei Tageslicht höchst anstößig gewesen wäre, ließ er sich nun widerstandslos hinaus führen.
Nach diesem Kampf, der zwei Spaßmachern auf dem Markt viel Beifall eingetragen hätte, erhob ich mich schnaufend. Erk stand noch immer mitten im Kirchenraum, an die Bank gefesselt.
„Halte still!“, sagte ich und trat zu ihm.
Ich durchschnitt mit dem Messer nach und nach die Riemen und Stricke. Erk stand ruhig da und beugte sich sogar etwas vor, damit die Bank gegen seinen Rücken gelehnt blieb und nicht umstürzte. Als die Fesseln gelöst waren, trug er sie wieder in die Ecke und stellte sie hin.
„Du kannst unbesorgt sein“, sagte ich. „Man wird dich nicht wieder festbinden. Schlafe jetzt weiter!“
Ich wandte mich ab und wollte hinausgehen. Da packte er mich plötzlich am Arm. Ich erschrak und fasste das Messer fester. Doch der Riese ließ mich gleich wieder los, beugte sich zu mir herab und sagte mit schwerer Zunge: „Er lügt!“
Dann gab er mir mit einer Kopfbewegung ein Zeichen. Erstaunlich sicher, ohne irgendwo anzustoßen, ging er um den Altar herum. In der Ecke des Chorraums blieb er vor der Steinplatte stehen, die die Reste des Heiligen bedeckte und auf die gerade in diesem Augenblick durch eines der kleinen Fenster ein Mondstrahl fiel. Er wartete, bis ich gefolgt war, kniete nieder und legte beide Hände flach auf die Platte.
Hinter dem Strohvorhang seiner Haare lugte er zu mir herauf und quetschte hervor: „Das war ich!“
Kein Zweifel: Er wollte mir sagen, dass er es gewesen war, der die kleine Grabkammer ausgehoben und den Stein behauen und darüber gewälzt hatte.
„Du warst das also“, sagte ich. „Und wer hat dir den Auftrag dazu gegeben? Der Herr Graf?“
Erk bewegte verneinend den Kopf.
„Herr Gozbert?“
Dasselbe Zeichen.
„War es …?“ Ich zögerte einen Augenblick. „War es dein Vater?“
Tatsächlich, Erk nickte nun heftig und, so schien es, erfreut
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