Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman
darüber, dass ich es erraten hatte. Seine plumpen, rissigen, schmutzigen Hände strichen zärtlich über die raue Fläche der Steinplatte.
„War vorher ein anderer in dem Grab?“, fragte ich.
Wieder verneinte Erk, diesmal langsam und ernsthaft.
„Es war also immer derselbe!“
Er bejahte. Und dann schleppten sich nochmals ein paar Worte aus seinem Mund:
„Wollt Ihr ihn sehen?“
Wie gern! Im ersten Augenblick wollte ich zustimmen. Aber gleich kamen mir Bedenken. Wäre es klug, sich jetzt, zur nächtlichen Stunde, von einem Mörder, der sich als Schutzflehender in die Kirche geflüchtet hatte, die Reliquie zeigen zu lassen?
Die Antwort blieb mir erspart. Von draußen hörte ich Stimmen. Männer mit Fackeln traten ein. Gleich darauf stand der Graf vor mir.
8. Kapitel
Es war mir entgangen, dass mein Kampf mit dem Priester Zuschauer angelockt hatte. Aus den umliegenden Hütten und Stallhäusern waren sie hervor gekommen und einer von ihnen war zum Grafen gerannt. Er hatte ihm berichtet, der fremde Mönch, also ich, hätte eine Schlägerei in der Kirche angefangen und den Priester so schrecklich verprügelt, dass man ihn halbtot forttragen musste. Als Volz mit seinen Fackelträgern die Kirche betrat, fand er mich mit dem Messer in der Hand. Und das abgerissene Stück der Kutte wurde auch gleich entdeckt.
Nichts ist misslicher, als sich einer gerechten Tat zu rühmen, wenn gewisse äußere Umstände scheinbar das Gegenteil beweisen. Während ich eine Erklärung stotterte, setzte Volz sein nachsichtigstes Lächeln auf. Als ich zu Ende war, meinte er sogar, ich hätte es doch nicht nötig, mich zu rechtfertigen. Schließlich sei alles recht getan, was ein königlicher Kommissar unternehme. Doch fügte er mit sanftem Vorwurf hinzu, nach seiner Erfahrung sei es allerdings besser, die Menschen und die Verhältnisse an einem Ort erst einmal gründlich zu studieren, bevor man eingreife. Was den jungen Priester betreffe, so sei dieser vollkommen harmlos, auch wenn er mit noch so heftigen Worten oder gar Drohungen um sich werfe. Zweifellos sei er nur mit dem Messer in die Kirche gegangen, um den tobenden Erk ein wenig einzuschüchtern. Es sei daher nicht nötig gewesen, ihn zu demütigen. Auch könne die Kirche Schaden nehmen, wenn sie ein Ort des Haders zwischen Klerikern werde.
Ich wandte nach dieser Zurechtweisung ärgerlich ein, dies sei zwar richtig, doch könne es Umstände geben …
Da lachte der Graf, klopfte mir auf die Schulter und sagte: „Lieber Lupus, das sei Euch zugestanden! Solche Umstände können nach einem Becher Burgunderwein, den man zu viel trinkt, natürlich eintreten!“ Und er nötigte mich sogar, in dieses Lachen einzustimmen.
Inzwischen waren wir schon auf dem Rückweg zum Herrenhaus. Volz plauderte, während ich neben ihm her lief und abwechselnd eine anschwellende Beule im Gesicht und meine schmerzende untere Kehrseite betastete. Ich war in der denkbar schlechtesten Stimmung.
Als wir ankamen, war bereits alles still. Schon in der Vorhalle und im Mittelgang lagen die Schläfer kreuz und quer, sodass man über sie hinweg steigen musste. Aus dem Saal kamen Schnarchtöne. Nicht wenige waren gleich auf den Bänken in Schlaf gesunken. In dem kleineren Raum des Hauses, wo die bevorzugten Gäste untergebracht waren, schliefen teils bekleidet, teils nackt unter Fellen und Decken acht bis zehn Männer, wohl die Liudolfs und Liutgers. Es roch sauer nach Bier und Schweiß. Ich kroch in die Ecke, wo meine Felle und mein Ledersack lagen. Wo war Odo?
Ich sah mich um und entdeckte ihn nicht. Auch seine Sachen, die neben den meinigen auf der Matratze gelegen hatten, waren verschwunden.
„Herr Odo lässt Euch eine gute Nacht wünschen, Vater“, sagte Volz, der plötzlich wieder neben mir war. „Er hat eine Einladung unseres Freundes Gozbert angenommen. Es ist nicht weit, nur zwei Meilen. Der Weg ist sicher und es scheint ja der Mond. Sie haben verabredet, morgen in Gozberts Wäldern zu jagen.“
„Aber wir wollten morgen einen Umritt im Gau machen!“, sagte ich unwirsch.
„Gönnen wir doch den jungen Herren ihr Vergnügen! Wie könnten sie ihre Freundschaft besser erneuern als beim königlichen Sport. Ist es Euch recht, lieber Lupus, werde ich selbst Euch morgen begleiten. Ihr braucht ja eine kundige Führung und natürlich auch Schutz. Unsere Wälder sind leider noch unsicher. Viel Gesindel treibt sich herum, dem Euer Mönchsgewand nicht gefallen könnte.“
„Unser Gefolge ist gut
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