Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman
würden wir – er unter angenehmen Erinnerungen, ich beim Hören erstaunlicher Dinge – allmählich in Schlaf sinken.
„Rom soll ja eine sehr alte und heruntergekommene Stadt sein“, begann ich, „auf lauter Hügeln erbaut, sodass man unentwegt bergauf und bergab rennen muss und bald außer Atem gerät. Und der Palast des Heiligen Vaters soll nicht sehr eindrucksvoll sein und weit draußen liegen.“
„Wer hat Euch denn diesen Unsinn erzählt?“ Volz lachte einen Augenblick in sich hinein. „Rom und heruntergekommen! Es ist eine prachtvolle Stadt, die Augen gehen einem über! Es gibt dort nur Paläste von Marmor und tausend Kirchen mit goldenen Portalen. Gewiss, man muss aufwärts steigen, aber auf einen einzigen hohen Berg, und die Pilger werden unten erwartet und in Sänften hinaufgetragen. Ganz oben, dem Himmel am nächsten und genau in der Mitte der Stadt, steht der Palast des Heiligen Vaters. Und wie könnte er nicht eindrucksvoll sein! Er ist das erhabenste Bauwerk, das ich jemals gesehen habe!“
„Wie sehr beruhigt mich das“, sagte ich. „Fluch den Lügnern, die etwas anderes behaupten! Sie haben auch erzählt, es gebe dort einen schmutzigen Fluss, in den Kloaken münden, wo Ratten schwimmen und in den die Römer all ihren Unrat werfen. Und in der Nähe seien Sümpfe, aus denen Fieberdünste aufsteigen.“
„Mein lieber Lupus, da ist Euch wahrhaftig ein falscher Zeuge untergekommen. Von wegen ein schmutziger Fluss! Ein herrlicher klarer See liegt am Fuße des Berges. Dort tauft der Heilige Vater die Neubekehrten. Und die Luft ist mild und duftet nach Weihrauch. Sie ist so rein wie der Atem eines Kindes!“
„Dann ist sicher auch das Gerede von den vielen Ruinen Verunglimpfung, die dort schon seit Jahrhunderten herumstehen sollen. In den Trümmern, heißt es, hausen Banditen, Bettler und Aussätzige. Man soll in den dunklen Gassen seines Lebens nicht sicher sein.“
„Die Urheber solcher Gräuelmärchen sollten bestraft werden!“, sagte Graf Volz und langte so heftig unter die Decke nach einem Floh, als sei dieser einer der Schuldigen. „Trümmer? Ruinen? Dunkle Gassen? Ich habe nichts dergleichen bemerkt. Ich sah nur herrliche breite Straßen, auf denen fromme Pilger dahin schritten, singend und lobpreisend. Niemand wagte, sie zu belästigen! Und die vermeintlichen Bettler sind heilige Männer, die an den Straßenecken warten, um den Vorübergehenden den Segen zu spenden.“
„Wie wunderbar ist es“, sagte ich, „wenn man einmal Gelegenheit hat, jemanden zu sprechen, der wirklich in Rom war. Viele behaupten, sie seien dort gewesen, und erzählen, was ihnen gerade in den Sinn kommt. Und Ihr seid nicht nur dort gewesen, sondern sogar dem Herrn Papst begegnet. War es in dem himmelnahen Palast auf dem Berge?“
„Natürlich, dort war es. Er empfing mich allein in seinen Gemächern.“
„Man sagt, dass er ein recht gewöhnlich aussehender älterer Mann sei.“
„Auch damit hat man Euch getäuscht. Der Heilige Vater und gewöhnlich! Ich spreche nicht von seinen kostbaren, mit Diamanten bestickten Gewändern, die könnte tatsächlich jeder anlegen. Auch nicht von seinem goldenen Hirtenstab. Ich meine die Gloriole, die sein Haupt umstrahlt!“
„Es gibt sie wirklich? Wie auf Bildern und Kirchenfresken?“
„Haargenau so! Oder glaubt Ihr, das hätten die Künstler erfunden? Man ist förmlich geblendet. Wahrhaftig, man glaubt, ein menschliches Abbild des Herrn zu sehen. So ist es, das ist die Wahrheit, mein Lieber. Glaubt mir, ich übertreibe nicht …“.
Er gähnte und war im nächsten Augenblick eingeschlafen
Ich war zufrieden. Bevor ich selbst einschlief, dachte ich noch an die sieben Hügel, auf denen Rom erbaut ist; an die Stadt, die in ihrer Blütezeit unter den ersten Kaisern zweihunderttausend Einwohner, jetzt aber nur noch höchstens zwanzigtausend hat; an den päpstlichen Lateran-Palast, der Jahrhunderte lang Militärkaserne war und weit draußen hinter dem Mons Esquilinus liegt; an den schmutzigen Tiber, der träge in drei Windungen durch die Stadt fließt; an die giftigen Pontinischen Sümpfe zu beiden Seiten der Via Appia, wo so viele Märtyrer ihre Grabstätte haben; an die Ruinen uralter Tempel und Triumphbögen, die Trümmer eingestürzter Mietshäuser, die engen, stinkenden Gassen der inneren Stadt; an die Banditen, die mich ausraubten, und die zahllosen Bettler, zu deren Scharen ich plötzlich gehörte; schließlich an den Heiligen Vater Hadrian, der vor
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