Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman
viel Verstand aufgebracht, seinen Herrn nicht vor den Augen der Markgenossen zu erwürgen, die ihn trotz seiner Kraft verfolgen und einfangen konnten.
„Da habt Ihr Recht“, sagte Wig. „Als Herr Hatto die Bauern zusammenrief, glaubte mein Bruder sogar, die Gefahr sei vorüber. Denn so viel begriff er: dass es ein anderer Grund war, weshalb sie Euch entgegen zogen. Er war erleichtert und wollte die tückische Warnung vergessen. Herr Hatto war es dann aber selbst, der sich mit ein paar leichtfertig hingesprochenen Worten ins Grab redete. Er sagte Erk unterwegs, nun könne er ihn ja bei der Gelegenheit den Franken gleich zur Hinrichtung abliefern. Das war natürlich wieder ein Scherz, aber Erk konnte das nicht erkennen und bekam Angst. Hätte sie ihn vorher nicht aufgehetzt, wäre er sicher nur geflohen, um sich irgendwo zu verstecken. Doch so erinnerte er sich ihres Befehls. Er vollbrachte die Tat und lief davon. Er wollte zu Bozo, dem Fährmann. Dort sollte er warten. Dort wollte sie zu ihm stoßen, am selben Tag.“
„Stattdessen lief er uns fast in die Arme.“
„Eure Reiter verfolgten ihn. Er sah sich verloren. Die Kirche erschien ihm als letzte Zuflucht. Er wusste nicht einmal, dass sie Freistatt ist. Der Finger Gottes hatte ihm diese Tür gewiesen, denn Gott sieht alles und weiß, dass mein Bruder im Herzen unschuldig ist. Er wurde durch Weiberarglist zum Mörder!“
Dieser Anklage folgte erneut ein wütender Ausbruch der Nelda. Sie schrie und gestikulierte. Dabei löste sich ihr Stirnband, der Schleier verrutschte und eine wahre Sturzflut prächtigen braunen Haars ergoss sich über ihre Schultern. Das war ein lieblicher Anblick, der aber in vollkommenem Gegensatz zur Schärfe und Grobheit ihrer Worte stand. Leicht hörte man heraus, dass diese etwa Fünfundzwanzigjährige die meiste Zeit ihres Lebens in der Gesellschaft eines rüpelhaften Trunkenbolds verbracht hatte. Sie schimpfte Wig einen stinkenden schwarzen Bock, der nur geil auf sie sei und ihr schaden wolle, weil er sie nicht mehr bekommen könne. Und Erk sei so stumpf und blöde wie ein Karpfen. Was hätte sie so einem auftragen oder mit ihm verabreden sollen!
Wig schrie wieder heftig dagegen und die beiden hohen, gellenden Stimmen vermischten sich misstönend. Erk stand völlig regungslos, tief gebeugt. Nur ein Beben der mächtigen Schultern und von Zeit zu Zeit ein Aufzucken der gefesselten Fäuste verrieten seine Bewegung.
Ich beobachtete auch den Grafen, der überraschend seine gelassene Haltung zurückgewonnen hatte. Seine Gesichtszüge waren wieder so glatt und mild wie gewöhnlich. Fast mit Vergnügen, so schien es, folgte er dem wilden Streit. Als einige von seiner Klageschar gegen den Priester anbrüllen wollten, hob er die Hand und beruhigte sie. Dann sah er zu Frau Frodegard hin. Sie dankte ihm mit einem sauren Lächeln dafür, dass er die Verteidigung des Mädchens aufgegeben hatte.
Herr Gozbert, der gleich vorn auf der Bank saß, beugte sich vor und ich hörte ihn leise zu Odo sagen: „Sie ist tatsächlich eine Hure. Sie verdirbt hier die Sitten. Meine Schwester wollte ihretwegen schon fort. Wie wäre es mit einem kleinen Ordal? Sie wird natürlich bis zur Erschöpfung leugnen. Aber wenn sie sich das hübsche Ärmchen verbrüht, kann sie die Männer nicht mehr so fest umarmen. Und die haben dann vielleicht auch keine Lust mehr. Das wäre doch nützlich für alle.“
Odo sah Gozbert verächtlich an und knetete lange seine Nasenspitze. „Du bringst mich auf einen Gedanken!“, sagte er plötzlich und erhob sich.
„Was hast du vor?“, zischte ich. „Warum stehst du auf? Ein Richter muss sitzen, das ist Vorschrift!“
„Wir sind ja zu zweit“, gab Odo zurück, „und es genügt, wenn einer sitzt. Also hüte dich, Vater, den Hintern zu heben.“
Er eilte den Hügel hinab. Unten trat er zwischen die Zankenden, die gleich verstummten. Er setzte dem Priester seinen Stab auf die Brust und schob ihn beiseite. Dann wandte er sich lächelnd an Nelda.
„Es gefällt uns, wie du dich wehrst. Ein Mädchen wie du und ein grober Knecht … was für ein Unsinn! Wie kann man nur auf so etwas kommen. Eine solche Schönheit hat wohl das Recht, etwas höher zu greifen.“
Er nahm eine ihrer braunen Haarsträhnen und ließ sie durch seine Hand gleiten.
Nelda wusste nicht recht, was sie davon halten sollte. Einerseits war sie geschmeichelt, andererseits musste sie vorsichtig sein. Sie war vom Schreien erhitzt, ihre Augen glühten, ihr
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