Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman
warten, wie die Richter entscheiden würden, packte er den Priester am Gürtel und stieß ihn fort.
Er hatte uns zeigen wollen, wie gut er Bescheid wusste. Erst vor kurzem war in einigen fränkischen Reichsgebieten das Amt des Prolocutors eingeführt worden. Nachweisen wollte er, dass man in Sachsen nicht rückständig war. Er hatte auch Großzügigkeit bekunden wollen, indem er dem armen, sprachlosen Tölpel zu einer Stimme verhalf. Natürlich hatte er dazu jemanden ausgewählt, der ihm ergeben war und, wie er glaubte, nichts falsch machen würde. Wig sollte nur das Geständnis vortragen und im Namen des Schuldigen die Gnade des Herrn und von uns Richtern ein angemessenes Urteil erbitten. Doch nun hatte dieser närrische Priester die ganze Klage verdorben. Als er aus dem Ring stolperte, wurde er angerempelt, beschimpft und mit Fäusten bedroht. Die Versammlung nahm einmütig für den Grafen Partei.
Ich sah besorgt zu Odo hin. Mein Amtsgefährte ließ keinen Blick von den Geschehnissen im und am Ring. Seine braunen Augen leuchteten kampflustig. Ich wollte ihm zuflüstern, dass wir gut daran täten, dem Antrag zuzustimmen. Ich fürchtete Unruhe und meine größte Sorge war, dass uns die Versammlung entgleiten könnte. Aber es war schon zu spät. Odo hob seinen Richterstab und gebot mit schallender Stimme Ruhe.
„Der Vorsprecher soll in den Ring zurückkehren!“, rief er, als sich die Aufregung etwas gelegt hatte. „Die Richter wollen den Mann befragen!“
Auch jetzt konnte Volz eine zornige Anwandlung nicht unterdrücken. Sein derbes Kinn sprang vor und unwillkürlich fuhr seine Hand nach dem Schwertgriff. Doch gleich riss er sich wieder zusammen. Der Zorn wich einer gut gespielten Verwunderung. Es schien sogar, dass sich das wütende Krebsrot seiner Wangen in Augenblicksschnelle in ein erstauntes Purpurrosa verwandelte.
„Sagtet Ihr, dass die Richter fragen wollen? Das ist ein Brauch, den wir hier nicht kennen. Nur die Klägerpartei stellt, wenn nötig, die Fragen.“
„Auch wir Königsboten haben das Fragerecht“, belehrte ihn Odo. „Eine vernünftige Neuerung. Oder wollt Ihr dem König, dessen Stellvertreter wir sind, verbieten, einem Beschuldigten Fragen zu stellen? Übrigens steht das auch in unserer Vollmacht. Es scheint Euch entgangen zu sein.“
Volz presste die Lippen zusammen und wandte sich ab.
„Fahren wir also fort“, sagte Odo. „Tritt vor, Priester!“
Wig schlich im Bogen um den Grafen herum, murmelte etwas von Gottes Befehl und der Stimme seines Gewissens und stellte sich an den Fuß des Hügels.
„Vor zwei Tagen warst du noch verdammt wild darauf“, begann Odo mit dem Verhör, „deinen Bruder zu allen Teufeln zu schicken. Wie kommst du nun zu der Behauptung, das Mädchen dort sei eigentlich schuld?“
„Verzeiht, es ist keine Behauptung“, erwiderte Wig. „Die Wahrheit ist es, das kann ich beschwören! Ich habe sie nur zu spät erkannt. Ich war engherzig und voller Vorurteile. Ihr, Vater“ – er wandte sich an mich – „habt mich zur Besinnung gebracht. Ohne Euch wäre ich jetzt selbst ein Mörder! Nach jener schrecklichen Versuchung des Bösen befahl mir Gott, mich Erk zu Füßen zu werfen. Das tat ich und mein Bruder verzieh mir. Dem Herrn sei Dank! Ich gewann sein Vertrauen zurück. Und so erfuhr ich, was wirklich geschehen war.“
„Dann teile es uns mit, wir warten darauf!“, sagte Odo ungeduldig. „Was gestand er dir?“
„Er wollte es nicht! Er wollte Herrn Hatto nicht umbringen. Er diente ihm und wollte ihm weiter dienen. Nie wäre er selbst auf den Gedanken gekommen. Obwohl er oft bedroht und erniedrigt wurde.“
„Warum bedroht?“
„Es gibt da diese alte Geschichte. Der Herr Graf hat sie in seiner Klage erwähnt. Erk hatte einmal, um seinen Vater zu schützen, einen Franken angegriffen, einen Gerichtsboten. Er wurde zum Tode verurteilt, entkam aber von der Richtstatt und kehrte zurück. Seitdem lebte er in ständiger Angst, dass die Franken ihn holen könnten. Herr Hatto drohte manchmal, ihn auszuliefern, wenn er faul oder aufsässig war. Ich habe das selbst einmal gehört. Herr Hatto liebte grausame Scherze.“
„Das heißt, dein Bruder fürchtete ihn.“
„Ja, nur war das kein Grund, ihn zu töten. Fünf Jahre war er bei ihm und hätte es tun können, wenn er gewollt hätte. Aber er tat es nicht und hätte es auch nicht getan, wäre nicht sie gewesen, diese – “
„Priester, ich warne dich!“, fuhr Odo dazwischen. „Unsere Ohren sind
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