Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman
siedendes Wasser tauchen. Warum zögerst du? Ist die Wahl so schwer? Vielleicht hat Gott gerade zu tun und ist unaufmerksam. Auch ihm kann ein Fehlurteil unterlaufen. Zeige auf diesen Mann und du bist unschuldig!“
Da warf sie plötzlich entschlossen den Kopf zurück. Sie drehte sich um und zeigte auf Volz.
„Er ist es, der mich heiraten wird.“
Während er den Priester befragte, war meinem Amtsgefährten etwas aufgefallen. Die Vorwürfe gegen Nelda enthielten sicherlich einen großen Teil Wahrheit, demzufolge aber auch einen Teil Unwahrheit. Dieser letztere war nicht unerheblich, denn er betraf das Maß der Schuld, welche das Mädchen auf sich geladen hatte. Odos Frage nach der causa zielte genau auf den Punkt, in dem Wig sich offensichtlich geirrt hatte und auch ich mich anfangs täuschen ließ. Als Mönche und Kleriker waren wir nun einmal bezüglich des weiblichen Geschlechts nicht sachverständig, dazu noch voller traditioneller Vorurteile. Odo, der mehr von Frauen wusste, hatte erkannt, dass die causa falsch war, obwohl die Erklärung für die Mordtat insgesamt einleuchtete. Ein Mädchen mit so viel Kraft und Verstand wie Nelda brauchte einen Vater, der immer wieder als schwächlicher Taugenichts beschrieben wurde, nicht töten zu lassen, um ihren Willen zu behaupten. Wahrscheinlicher war, dass sie ihn ebenso wie seinen Knecht Erk beherrscht hatte. Die causa ihres Handelns musste daher eine andere sein. Natürlich war Odo ebenso wenig wie mir entgangen, dass zwischen dem Grafen und der Tochter des Hatto eine Art gespannten Einvernehmens herrschte. Und waren wir nicht schon bei der Waldhütte, noch ohne jeden Beweis, bis zu der Vermutung gelangt, dass Volz auch hinter diesem Mord steckte? Odo hatte das alles zusammengebracht und den einzigen vernünftigen Schluss gezogen. Und dann hatte er sich, den verwundbaren Feind vor Augen, zu einem verwegenen Angriff entschlossen.
Volz konnte den Angriff nun annehmen oder ihm ausweichen. Er schien sich dieser zwei Möglichkeiten auch gleich bewusst zu sein, denn im ersten Augenblick zögerte er. Lauernde Blicke trafen ihn, einige gespannt, andere wissend, manche mit verstecktem Hohn. Man wartete ab, was er tun würde, wie gewöhnlich.
Er schien Zeit gewinnen zu wollen, indem er der Behauptung der Nelda zunächst einen Scherz folgen ließ. Die sächsischen Jungfrauen seien zur Zeit so heiratswütig wie nie. Auch Witwer seien vor ihnen nicht sicher.
Einige lachten, darunter Odo. Dann aber stellte er unerbittlich die Frage, ob die Aussage zutreffend sei. Ob der Graf die Jungfrau tatsächlich heiraten werde.
Wenn Volz jetzt bejahte, konnte er die Verhandlung schnell zu Ende bringen. Denn es würde die causa entfallen und Wigs Beschuldigungen damit der Sinn genommen. Volz schien das noch immer zu erwägen und zögerte abermals. Was würde es ihn schon kosten, eine Antwort zu geben, die er nach unserer Abreise willkürlich zurücknehmen konnte?
Sehr viel! Nämlich die Gunst einer edlen Dame, die das öffentliche Bekenntnis zu einer anderen, welche noch dazu fragwürdig von Geburt und Gesittung war, niemals verzeihen würde. Es würde ihn Äcker, Wiesen, Wälder, Häuser, Kirchen, Bauernfamilien, Rinderherden und ein paar tausend Solidi kosten. Schon dieses Zögern konnte alles entscheiden.
Frau Frodegard stand nämlich plötzlich auf, legte die Stirn in Falten, warf den Kopf in den Nacken, raffte ihr weites, kostbar besticktes Gewand und wollte fortgehen.
Volz bemerkte es gerade noch rechtzeitig.
„Niemals!“, rief er daher. „Wie könnt Ihr nur so etwas fragen, Herr Odo? Ich sollte Nelda heiraten wollen? Die Tochter des Hatto mit einem wendischen Kebsweib? Ich bin Abkomme eines der ältesten Sachsengeschlechter! Ihr habt doch gehört, dass ich es als Scherz nahm. Der Gedanke allein ist lächerlich!“
„Lächerlich?“ Nelda trat rasch auf ihn zu, stampfte mit dem Fuß auf und ballte die Fäuste. „Vor drei Nächten erst habt Ihr ganz anders geredet! Meine Mutter war eine Tochter des Ratiz, des Fürsten der Lusizer. Für das Gesetz würde das genügen, habt Ihr gesagt.“
„Die Angst hat ihr den Verstand getrübt!“, erklärte Volz und schielte hinüber zu Frau Frodegard, die unschlüssig stehen geblieben war. „Ihre Mutter war eine Unfreie. Niemand weiß, von wem sie abstammte. Hatto kaufte sie von einem Händler. Dem entspricht, wie alle hier wissen, die Stellung der Nelda in meinem Hause. Sie ist als Aufsicht über die Mägde gesetzt. Niemals könnte
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