Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman
empfindlich, wenn es um die Ehre von Frauen und Jungfrauen geht. Sprich, aber bringe nur Tatsachen, keine Meinungen vor!“
Da trat plötzlich Nelda neben Wig an den Rand des Hügels und rief:
„Herr! Ihr seid edel, ihr seid gerecht! Alles, was er jetzt sagen wird, ist Verleumdung und Lüge! Ich war ihm einmal versprochen und er glaubt immer noch, Rechte auf mich zu haben. Er verfolgt mich! Er lauert mir auf! Er würde mir unter die Röcke kriechen, um Wache zu halten! Aber ich verabscheue ihn, ich hasse seine Belehrungen. Deshalb redet er schlecht über mich.“
„Da hört Ihr es!“, rief Volz, der während der Befragung des Wig immer wieder durch Seufzer und Gesten seinen Unmut bekundet hatte. „Habt Ihr nicht selbst gerade festgestellt, dass er zu Übertreibungen neigt? In seinem Eifer wittert er überall Sünde und er hat es sehr eilig mit seinem Verdammungsurteil. Was kann er schon von seinem Bruder erfahren haben? Er hat das Gestammel so ausgelegt, wie es ihm passte. Könnt Ihr das ernst nehmen?“
„Wir werden uns Eurer Bedenken erinnern, sobald wir alles gehört haben“, sagte Odo. „Komm nun zur Sache, Priester!“
„Wie soll ich zur Sache kommen, wenn Ihr mir nicht erlaubt, sie beim Namen zu nennen?“, sagte Wig so vorwurfsvoll, wie es die Achtung vor dem Königsboten zuließ. „Auch der Herr Graf will nichts davon hören. Ich aber spreche mit der Zunge des Toten, der mehrmals in meiner Gegenwart sagte: ‚Ich will meine Tochter verheiraten. Es ist Zeit für sie, doch es wird nicht leicht sein. Sie ist eine‘ – und er sprach dieses Wort aus, das ich nicht wiederholen darf. Und dann sagte er weiter: ‚Wenn niemand sie will, bekommt sie Erk. Das soll ihre Strafe sein.‘“
„Lüge!“, rief Nelda wieder dazwischen.
Aber Odo herrschte sie an und drohte, sie aus dem Ring zu entfernen. Einige Zuhörer lachten anzüglich.
„Diese Worte sprach Herr Hatto so häufig, dass sie hier jeder schon gehört haben muss“, fuhr der Priester fort. „Mein Bruder hörte sie immer wieder. Vielleicht wurden sie nur im Scherz gesprochen … da konnte man bei Herrn Hatto nie sicher sein, er war ja meistens betrunken. Aber es war nicht ausgeschlossen, dass er mit seiner Drohung Ernst gemacht hätte. Nelda fürchtete das. Mein Bruder dagegen war froh. Und weil er fest daran glaubte, sie würde eines Tages sein Eheweib werden, wurde er ihr ergebenster Knecht. Er leckte den Staub von ihren Schuhen!“
„Und nun willst du uns sagen, dass sie das ausnutzte, um ihn …“
„So ist es! An dem Morgen, als das Schreckliche geschah, war ihm von Herrn Hatto befohlen worden, das Pferd zu satteln. Er war gerade dabei – da trat sie zu ihm. ‚Es werden heute Gerichtsherren aus Franken kommen und mein Vater will ihnen entgegen reiten. Du wirst ihn begleiten müssen, doch was du nicht weißt: Diese Männer kommen, um dich zu holen! Ja, du wirst sterben, das alte Urteil soll an dir vollstreckt werden. Mein Vater wird froh sein, wenn er dich los ist, weil es ihn reut, mich dir versprochen zu haben. Nur einen Ausweg gibt es noch, wenn du leben und mein Gemahl werden willst: Du musst ihn töten, bevor er dich ausliefern kann!‘ So listig sprach sie zu ihm und mein Bruder glaubte ihr. Weil sie nach der vollbrachten Tat mit ihm fliehen wollte.“
Wig konnte nicht weitersprechen. Nelda, die neben ihm stand, brach in ein schrilles Gelächter aus.
„Ich hätte mit dem Blödian fliehen wollen?“, rief sie, von Lachen geschüttelt. „Ist jemand hier, der so etwas glaubt?“
Erk zuckte bei diesen Worten zusammen, als hätte ihn ein Schwertstreich getroffen. Diesseits und jenseits der Haselstangen erhobt sich Gemurmel.
„Macht endlich ein Ende damit!“, rief Volz. „Das sind doch nur Hirngespinste!“
„Ihr verschließt Euch der Wahrheit!“, stieß Wig hervor, an den Grafen gewandt. „Ich spreche hier auch um Euretwillen. Aus Liebe und Dankbarkeit und um Euch die Augen zu öffnen. Denn, wie geschrieben steht, ist keine List über Frauenlist und besser ist es, bei Löwen und Drachen zu wohnen als bei einem bösen Weib.“
„Schweig endlich!“, unterbrach ihn der Graf. „Sind wir hierher gekommen, Herr Odo, um Verse aus der Schrift zu hören?“
Odo befahl dem Priester nochmals, nur glaubhafte Tatsachen vorzubringen und sich damit an die Richter zu wenden. Es sei wirklich ganz unvorstellbar, dass das Mädchen auch nur zum Schein mit seinem Bruder Erk eine Flucht verabredet habe. Der hätte dann doch wohl so
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