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Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen

Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen

Titel: Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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die Tür aufging – genau wie am Anfang einer Sherlock-Holmes-Geschichte – und eine große, schöne junge Frau eintrat. Sie befand sich in einem Zustand höchster Erregung, das goldene Haar umkränzte ihren Kopf wie ein Heiligenschein, ihre Augen leuchteten veilchenblau, und ihre Kleidung vervollständigte die wirre Erscheinung, denn als sie den dicken Reisemantel zurückschlug, sah er, daß sie darunter ein Abendkleid, hellgrüne Seidenstrümpfe und schwere Wanderschuhe trug, die vor Dreck strotzten.
    »Seine Lordschaft ist noch nicht wieder da, Mylady«, sagte Mr. Bunter, »aber Mr. Parker wartet hier auf ihn, und wir rechnen jede Minute mit seiner Rückkehr. Haben Mylady einen Wunsch?«
    »Nein, nein«, sagte die Erscheinung hastig, »danke, nichts. Ich warte. Guten Abend, Mr. Parker. Wo ist Peter?«
    »Er wurde fortgerufen, Lady Mary«, sagte Parker. »Ich verstehe nicht, warum er noch nicht zurück ist. Nehmen Sie doch bitte Platz.«
    »Wohin ist er gegangen?«
    »Zu Scotland Yard – aber das war schon gegen sechs. Ich kann mir nicht vorstellen –«
    Lady Mary machte eine verzweifelte Gebärde.
    »Ich hab's gewußt! Oh, Mr. Parker, was soll ich nur tun?«
    Mr. Parker war sprachlos.
    »Ich muß Peter sprechen«, rief Lady Mary. »Es geht um Leben und Tod. Könnten Sie nicht nach ihm schicken?«
    »Aber ich weiß nicht, wo er ist«, antwortete Parker. »Bitte, Lady Mary –«
    »Er steht im Begriff, etwas Schreckliches zu tun – er irrt sich«, rief die junge Dame und rang in äußerster Verzweiflung die Hände. »Ich muß ihn sprechen – ich muß es ihm sagen –, o Gott, ist je ein Mensch in so einer schrecklichen Lage gewesen? Ich – o nein!«
    Hier begann die Dame plötzlich laut zu lachen und brach zugleich in Tränen aus.
    »Lady Mary – ich flehe Sie an – bitte, nicht«, rief Mr. Parker besorgt und mit dem starken Gefühl, der Situation nicht gewachsen zu sein und ziemlich lächerlich zu wirken. »Bitte setzen Sie sich, trinken Sie ein Glas Wein. Sie werden noch krank, wenn Sie weiter so weinen. Sofern es noch Weinen ist«, ergänzte er bei sich. »Das klingt eher nach Schluckauf. Bunter!«
    Mr. Bunter war nicht weit. Genauer gesagt, er stand schon mit einem kleinen Tablett vor der Tür. Mit einem respektvollen »Erlauben Sie, Sir«, nahte er der sich windenden Lady Mary und hielt ihr ein Fläschchen unter die Nase. Die Wirkung war verblüffend. Die Patientin stieß ein, zwei angstvolle kleine Quiekser aus, dann setzte sie sich aufrecht, kerzengerade und wutschnaubend.
    »Bunter, was fällt Ihnen ein!« sagte Lady Mary. »Verschwinden Sie, sofort!«
    »Mylady sollten vielleicht ein Schlückchen Cognac trinken«, sagte Mr. Bunter, indem er den Stöpsel wieder auf das Riechfläschchen tat, aber erst nachdem Parker den beißenden Ammoniakgeruch wahrgenommen hatte. »Das ist ein 1800er Napoleon, Mylady. Bitte schnauben Sie nicht so verächtlich, wenn ich mir den Rat erlauben darf. Seine Lordschaft wäre zutiefst gekränkt, wenn er glauben müßte, ich hätte etwas davon verschwendet. Haben Mylady auf dem Weg hierher schon gespeist? Nein? Sehr unklug, Mylady, so eine lange Reise mit leerem Magen zu unternehmen. Ich werde mir erlauben, Ihnen ein Omelette zu schicken. Vielleicht wünschen auch Sie einen kleinen Imbiß, Sir, da es schon so spät ist?«
    »Ganz wie Sie wollen«, sagte Mr. Parker, nur um ihn loszuwerden. »Nun, Lady Mary, fühlen Sie sich jetzt besser? Gestatten Sie, daß ich Ihnen den Mantel abnehme.«
    Von nun an fiel kein aufregendes Wort mehr, bis das Omelette seiner Bestimmung zugeführt war und Lady Mary bequem auf dem Sofa saß. Sie hatte inzwischen ihre Fassung wiedergewonnen. Wenn Parker sie so ansah, fiel ihm auf, wie sehr ihre zurückliegende Krankheit (wodurch auch immer hervorgerufen) sie gezeichnet hatte. Ihrem Teint fehlte dieses Leuchten, an das er sich erinnerte; sie sah müde und blaß aus und hatte violette Ringe unter den Augen.
    »Es tut mir leid, daß ich mich vorhin so albern aufgeführt habe, Mr. Parker«, sagte sie, indem sie ihm mit entwaffnender Ehrlichkeit und voll Vertrauen in die Augen sah, »aber ich war so vollkommen verzweifelt und bin in solcher Eile von Riddlesdale hierhergekommen.«
    »Keine Ursache«, sagte Parker wegwerfend. »Kann ich in Abwesenheit Ihres Bruders etwas für Sie tun?«
    »Sie und Peter tun alles gemeinsam, nicht?«
    »Ich glaube sagen zu können, daß keiner von uns etwas in dieser Sache weiß, was er dem andern nicht mitgeteilt

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