Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen
geschoben. Und als sie dann nach oben ging, hat sie ihn wieder hervorgeholt und oben in der Eichentruhe versteckt. Sie konnte ihn natürlich nicht gut in ihr Zimmer bringen, denn wenn jemand sie die Treppe hätte heraufkommen hören, hätte es komisch ausgesehen, daß sie zuerst in ihr Zimmer rannte, bevor sie die anderen alarmierte. Dann hat sie Arbuthnot und die Pettigrew-Robinsons aufgeweckt – sie stand im Dunkeln, und in der Aufregung dürften sie sowieso nicht so genau gesehen haben, was sie anhatte. Dann machte sie sich von Mrs.
P. los, lief in ihr Zimmer, zog den Rock aus, mit dem sie neben Cathcart gekniet hatte, auch die übrigen Kleider, zog den Pyjama und die Mütze an, die ja eventuell jemand bemerkt haben konnte, und den Mantel, den man bestimmt gesehen hatte, und schließlich die Schuhe, die wahrscheinlich schon Abdrücke hinterlassen hatten. Und dann erst konnte sie hinuntergehen und sich zeigen. Inzwischen hatte sie sich für den Untersuchungsrichter die Einbrechergeschichte ausgedacht.«
»So ungefähr war's wohl«, sagte Peter. »Wahrscheinlich war sie so ängstlich darauf bedacht, uns von Schuhgröße 45 abzulenken, daß sie gar nicht auf die Idee gekommen ist, ihre Geschichte könnte mithelfen, ihren Bruder hineinzureißen.«
»Das ist ihr bei der Untersuchungsverhandlung klargeworden«, sagte Parker eifrig. »Weißt du nicht mehr, wie schnell sie nach der Selbstmordtheorie gegriffen hat?«
»Und als sie entdeckte, daß sie damit zwar ihren – ich meine, Schuhgröße 45 – rettete, ihren Bruder aber an den Galgen brachte, hat sie den Kopf verloren, ist ins Bett geflüchtet und weigert sich seitdem, überhaupt noch etwas zu sagen. Ich habe den Eindruck, meine Familie ist überdurchschnittlich mit Narren gesegnet«, sagte Peter düster.
»Aber was hätte das arme Mädchen denn tun sollen?« fragte Parker. Er war schon fast wieder guter Dinge. »Immerhin ist sie damit jetzt entlastet –«
»Gewissermaßen, ja«, sagte Peter, »aber wir sind noch lange nicht über den Berg. Warum steckt sie mit Schuhgröße 45, der ja mindestens ein Erpresser, wenn nicht sogar ein Mörder ist, unter einer Decke? Wie kam Geralds Revolver an den Schauplatz? Und die grünäugige Katze? Was wußte Mary über das Treffen zwischen Schuhgröße 45 und Denis Cathcart? Und wenn sie den Mann kannte und sich mit ihm traf, kann sie ihm jederzeit den Revolver in die Hand gedrückt haben.«
»Nein, nein«, sagte Parker. »Wimsey, du darfst so etwas Häßliches nicht denken.«
»Himmel noch mal!« platzte es aus Peter heraus. »Ich kriege die Wahrheit in dieser widerlichen Geschichte heraus, und wenn wir alle miteinander zum Galgen gehen!«
In diesem Augenblick trat Bunter mit einem an Wimsey adressierten Telegramm ein. Lord Peter las:
»Gesuchte Person in London aufgespürt; Freitag in Marylebone gesehen. Näheres von Scotland Yard.
Gosling, Polizeichef Ripley«
»Guter Mann!« rief Wimsey. »Jetzt kommen wir voran. Sei so gut und bleib hier für den Fall, daß noch etwas kommt. Ich sause mal eben zu Scotland Yard. Man wird dir etwas zu essen schicken, und Bunter bringt dir eine Flasche Château Yquem – der ist ganz gut. Bis dann!«
Er sauste aus der Wohnung, und Sekunden später schnurrte sein Taxi den Piccadilly hinauf.
Der Club und die Kugel
Er ist tot, er starb durch meine Hand, Es wäre besser, ich wäre tot, ich elende, schuldbeladene Kreatur .
Adventures of Sexton Blake
Stunde um Stunde wartete Mr. Parker auf die Rückkehr seines Freundes. Wieder und wieder ging er den Fall Riddlesdale durch, prüfte hier seine Notizen, ergänzte sie dort und beschäftigte sein müdes Gehirn mit den phantastischsten Spekulationen. Er ging im Zimmer auf und ab, nahm da und dort ein Buch vom Regal, klimperte ein paar ungeübte Akkorde auf dem Piano, blätterte in den Magazinen und tat dies und jenes. Schließlich nahm er sich einen Band aus der kriminologischen Abteilung der Bücherregale und zwang sich, seine Aufmerksamkeit jenem faszinierendsten und dramatischsten aller Giftmorde zu widmen – dem Fall Seddon. Mit der Zeit schlug das Geschehen ihn wie immer in seinen Bann, und so erschrak er nicht schlecht, als ein langes, energisches Läuten der Hausglocke ihn aufschauen ließ und er feststellen mußte, daß es schon nach Mitternacht war.
Sein erster Gedanke war, daß Wimsey seinen Schlüssel vergessen haben mußte, und er bereitete sich schon darauf vor, ihn mit einer spöttischen Bemerkung zu empfangen, als
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