Sayuri
so etwas wie Familie sein? Sie war ein rätselhaftes Geschöpf, eine Einzelgängerin, deren Leben noch Jahrtausende dauern konnte. Und auch wenn sie ihn treu begleitet hatte, wurde ihm doch jetzt erst klar, dass er sich all die Jahre nach jemandem gesehnt hatte, der ihm ähnlicher war.
Und nun hatte er Sayuri getroffen. Wie er schien sie in etwas gefangen, das sie von Geburt an in sich trug und dem sie scheinbar nicht entkommen konnte. Sie war so voller Freude und das Lächeln, das so oft auf ihren blassen Lippen lag, ließ ihn etwas fühlen, das er bisher nicht gekannt hatte.
Mit einem Seufzen setzte Suieen sich auf. Einen Tag, hatte er gesagt, würde er bei ihnen bleiben, und er hatte es auch so gemeint. Schon am folgenden Tag konnten die Quellen in der Wüste versiegen. Das Magienetz im Zentaurenwald war so schwach gewesen, wie Suieen es davor noch nie erlebt hatte, obwohl es eines der stärksten zwischen den beiden großen Quellen war. Irgendetwas stimmte nicht mit dem Gleichgewicht der Quellen und er konnte nicht riskieren, eine Reise aufs Spiel zu setzen, die ohnehin schon ungewiss genug war.
Sein Blick glitt zum Söldnerlager hinab. In diesem Moment hasste er sein Shaouranerbe. Es verdammte ihn dazu, auch von ihren Quellen der Magie abhängig zu sein, nicht nur von der der Menschen. Und so spiegelte sein Pendeln zwischen den Welten nicht nur seine innerliche Zerrissenheit, es war auch pure Notwendigkeit, um überleben zu können.
Suieen schüttelte den Kopf. Es gab keinen Ausweg, er wusste es besser als jeder andere. Er wandte sich gerade wieder zu ihrem Lager um, als plötzlich gedämpfte Schreie aus der Ferne herübertönten.
Suieens Blick glitt hinunter zu den Baracken und wenig später standen auch Yuuka und Marje neben ihm.
Von hier oben konnte man nicht viel erkennen, zumal die Feuer in den Wachtürmen des Lagers nicht viel Licht spendeten. Ein Tumult offenbar, ein Pulk an dunklen Gestalten war erkennbar, das zornige Fauchen einer Essjiar drang bis zu ihnen hinauf.
Dann löste sich der Pulk auf, einzelne Gestalten stoben auseinander in Richtung der Baracken. Nur eine von ihnen entkam nicht.
Eine Peitsche knallte durch die Nacht, traf die dunkle Silhouette und ließ sie zu Boden stürzen. Ein weiterer Schrei drang zu ihnen herauf, ein Befehl wohl, schließlich Stille. Die Gestalt am Boden rührte sich nicht mehr.
»Und, glaubst du immer noch, dass du deinen Freund da rausholen kannst?«, fragte Suieen in die Stille.
Einen kurzen Augenblick lang starrte Sayuris Freundin ihn hasserfüllt an, dann wirbelte sie herum, stapfte die Düne hinab und ließ sich neben Sayuri in den Sand fallen.
Suieen sah ihr seufzend hinterher und Yuuka stieß einen schnurrenden, lang gezogenen Laut aus. »Wir können ihnen nicht helfen, Suieen«, sagte sie mit knurriger Stimme. »Ich sehe wohl, dass Sayuri etwas Besonderes ist, sie ist genauso wenig Mensch wie du. Sie ist magisch. Vielleicht könnte man sie sogar unter den Shaouran verstecken. Aber Marje …«
Suieen unterbrach Yuuka mit einer unwirschen Handgeste. Er wusste, was sie sagen wollte. Marje war einfach nur ein Mensch. Aber er hatte auch Sayuris Blick gesehen, wie vertrauensvoll er auf Marje geruht hatte, und wie liebevoll sich Marje um Sayuri kümmerte. Er wünschte, er würde diese tiefe Freundschaft zwischen den beiden Mädchen nicht spüren, denn dann könnte er Sayuri einfach mit sich nehmen, wenn sie am nächsten Morgen zu ihrer Reise durch die Wüste aufbrachen. Ohne Marje, ohne Sorgen.
Womit ich um keinen Deut besser wäre als Yuuka, schoss es ihm durch den Kopf.
Aus dem Tal tönte das Brüllen einer Essjiar, während Suieen verzweifelt versuchte, zu einer Entscheidung zu kommen.
Als die ersten Sonnenstrahlen das Tal in helles Licht tauchten, war Kiyoshi so durchgefroren, dass er sofort aus dem Schatten glitt, um seine kalten und steifen Glieder von der Sonne wärmen zu lassen. Mit klammen Fingern strich er sich durchs Haar und blinzelte zu Tshanil hinauf, deren Strahlen ein angenehmes Prickeln auf seiner Haut auslösten. Neben ihm lag ausgestreckt der magere Körper des jungen Mannes, der gestern Nacht versucht hatte, aus dem Lager zu flüchten. Milan, fiel ihm wieder ein.
Überrascht stellte Kiyoshi fest, dass sich in den Baracken erst jetzt langsam etwas zu regen begann, obwohl der Tag bereits vor einer Weile angebrochen war. Keine Wachen waren zu sehen, die die Menschen zur Arbeit antrieben. Auch die Essjiar schienen im Stehen tief und fest
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