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Sayuri

Sayuri

Titel: Sayuri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carina Bargmann
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verstummte.
    Milan zog die Stirn in tiefe Falten und musterte den Jungen.
    »Wir haben hier den Prinzen unter uns! Miros Erbe!«, rief der Rotschopf und aus seiner Stimme sprach unverhohlener Hass. Kiyoshi spürte, wie sich alle Aufmerksamkeit auf ihn richtete. Doch was hatte er nun noch zu verlieren? Entschlossen hielt er den Blicken der Menge stand, als sich Milan zu Wort meldete.
    »Gut erkannt. Er ist Miros Erbe und nicht der Kaiser selbst«, sagte er und das allgemeine Gemurmel verstummte. »Ein Gefangener wie wir alle.« Er stützte sich mühsam auf seinen Ellenbogen auf und hob den Kopf. In seine blauen Augen trat ein Funkeln, das sein Gesicht plötzlich verwandelte. Erschöpfung wurde plötzlich zu Härte, Mutlosigkeit zu Entschlossenheit. »Er ist einer von uns«, sagte er, »und ich finde, wir sollten ihn auch so behandeln.«
    Kiyoshi sah ihn verblüfft an. Ausgerechnet von ihm Unterstützung zu bekommen, hatte er nicht erwartet. Milan hatte allen Grund, ihn und den Kaiser zu hassen, vielleicht noch mehr als alle anderen – wieso half er ihm plötzlich?
    Noch bevor jemand etwas erwidern konnte, hallte ein lauter Gongschlag über das Lager.
    Und dann geschah etwas, was Kiyoshi vor Verblüffung den Mund offen stehen ließ. Ohne weiter auf Kiyoshi, den Rothaarigen oder Milan zu achten, machte ein jeder auf dem Absatz kehrt und hastete los. Die Menge strömte auf eine der größeren Baracken zu. »Essenszeit«, erklärte Milan lapidar, als Kiyoshi verwirrt den Menschen hinterhersah. »Du wirst schnell lernen, dass hier Worte nicht viel zählen. Für eine Schüssel voll Mehl, Wasser und Sand würde hier ein jeder seine eigene Mutter im Stich lassen.« Er ließ sich auf den Boden zurücksinken. »Du solltest dich lieber beeilen. Gleich ertönt der Gong für die Minen. Und dann gibt es bis heute Abend nichts mehr.«
    Es war kein Gong, sondern ein Horn, ähnlich dem Jagdruf. Bei seinem Klang trotteten alle auf die Mineneingänge zu. Der blonde Thalion, der Kiyoshi auf Milans Anweisung mit zur Essensbaracke genommen hatte, deutete auf die Schlange, die sich vor den Höhlen gebildet hatte. Söldner auf Essjiar patrouillierten entlang der Reihen und achteten darauf, dass keiner der Gefangenen ausbrach.
    Von hier oben konnte man nicht viel erkennen, nur schwarze Löcher in dem sandigen Untergrund, der sich hinter den Baracken erstreckte.
    Über dem ärmlichen Mahl, das tatsächlich aus einem Mehl-Wasser-Sand-Gemisch bestand, ausgeteilt von zwei älteren Gefangenen, hatte Thalion dem Prinzen einige knappe Informationen zur Mine gegeben. Milans Wort reichte ihm offenbar, um Kiyoshi zu vertrauen. Der Junge, ein Taller aus dem Westviertel, erzählte davon, wie Milan sofort zum heimlichen Anführer hier im Lager geworden war – schließlich waren viele Kinder und Jugendliche hier, die ihn noch aus der Stadt kannten. Für sie war er ein Held. Doch die Söldner waren auf ihn aufmerksam geworden, zumal er letzte Nacht bereits zum zweiten Mal versucht hatte, auszubrechen.
    »Er glaubt, er hat nichts zu verlieren«, sagte Thalion. »Aber das stimmt nicht. Noch sind wir am Leben. Und wir brauchen ihn mehr als jeden anderen hier. Wenn wir ehrlich sind, haben wir alle etwas oder jemanden zu verlieren, auch Milan. Aber vielleicht wäre ich auch mehr wie er, hätte ich nicht noch meine Schwester.« Sein Blick glitt in die Ferne zu einem Mädchen, das mit gesenktem Kopf hastig sein Essen löffelte.
    Kiyoshi hatte genickt. Er dachte an Marje und daran, dass er diesen Jemand gerade erst gefunden hatte.
    Die Schlange vor dem Mineneinstieg schleppte sich langsam vorwärts. Kiyoshi blickte sich um. Hinter ihm standen zwei kleinere Mädchen, sie mochten zehn oder elf sein. In den Mienen der Gefangenen spiegelten sich Hoffnungslosigkeit und Hunger. Kiyoshi lächelte ihnen aufmunternd zu, doch sie starrten nur ausdruckslos zurück.
    »Kiyoshi. Trödeln kann hier zum Tod führen!«, hörte er ein Raunen und wandte sich hastig um. Tatsächlich war ein Söldner auf ihn aufmerksam geworden und trieb seine Essjiar auf ihn zu.
    Thalion, der gerade an der Reihe war, glitt in das Loch – und Kiyoshi tat es ihm nach – in der Sekunde, als die lederne Peitschenschnur durch die Luft sauste.
    »Danke«, raunte er in die Dunkelheit, aber Thalion knurrte nur.
    Stufe für Stufe tastete sich Kiyoshi tiefer. Schon nach wenigen Metern umfing ihn eine Finsternis, die schwärzer war als jede Nacht. Er konnte sich nicht vorstellen, dass unter all den

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