Sayuri
zu schlafen. Die Ruhe, die über dem Lager lag, kam Kiyoshi beinahe friedlich vor. Nichts schien ihn daran zu hindern, einfach hinaus in die Wüste zu gehen; es waren kaum fünfzig Schritte und er würde den Aufstieg aus dem Tal beginnen können.
»Das solltest du besser bleiben lassen«, knurrte eine raue Stimme neben ihm. Kiyoshi sah zu Milan. Er hatte die Augen geöffnet. Unter ihnen lagen tiefe Schatten und die winzigen Äderchen in ihnen waren tiefrot. »War auch mein erster Gedanke.«
Kiyoshi musterte die Essjiar genauer und bemerkte erst jetzt, dass die Augen der mächtigen Tiere nicht ganz geschlossen waren. Zwar schienen sie tief in Schlaf versunken und ihre riesigen gepanzerten Leiber regten sich nicht, doch er hatte keine Zweifel daran, dass sie alles, was um sie herum geschah, registrierten. Kiyoshis Blick streifte die Wachtürme und glitt dann wieder zurück zu Milan, dessen Verletzungen nun im hellen Tageslicht deutlich zu erkennen waren. Die vielen Striemen und das verkrustete Blut verrieten, was er an Schmerzen leiden musste – und bereits hatte erleiden müssen.
»Wir sollten wohl besser hier weg«, sagte Kiyoshi mit einem Blick zu den Baracken. Einige Gefangene traten aus den Hütten.
Milan schien ein Stöhnen zu unterdrücken. Offenbar wollte er sich seine Schmerzen nicht anmerken lassen, aber Kiyoshi war in den Morgenstunden ein paarmal aus dem Schlaf geschreckt, als der junge Mann sich unruhig hin- und hergewälzt hatte, das Gesicht vor Schmerz verzogen. Seine Augen glänzten fiebrig. »Dann geht mal besser, Eure Hoheit«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Kiyoshi reichte ihm eine Hand, um ihm aufzuhelfen, aber Milan schüttelte den Kopf. »Keinen Sinn«, sagte er knapp, rollte sich auf den Rücken und blinzelte in die Sonne. »Ich bin wirklich verwundert, dass ich noch aufgewacht bin«, sagte er leise. »Ehrlich gesagt hatte ich geglaubt, dass du das Werk deines Onkels zu Ende bringen würdest. Schließlich lässt sich kaum leugnen, dass ich zu Recht verurteilt wurde.«
Kiyoshi erwiderte seinen Blick und es entstand ein kurzes Schweigen zwischen ihnen. »Warum hast du das getan?«, fragte er schließlich leise. »Ich meine das Attentat. Was hätte es geändert?«
»Nichts«, sagte Milan. »Es hätte nichts geändert. Wenn wir den Kaiserbruder getötet hätten, wäre ein anderer an seine Stelle gerückt. Sein Tod hätte keinen Unterschied gemacht.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber wir konnten nicht anders.« Er schloss die Augen. »Vielleicht kommt es dir so vor, als ob uns blinder Hass oder Rache getrieben hätte. Aber das war es nicht. Unsere Welt zerbrach und wir mussten es versuchen. Ich habe es damals am Schlund gesagt und ich würde es jetzt wieder sagen. Es hat sich gelohnt.«
Milans Blick glitt zu den Baracken, vor denen sich nun etliche Menschen tummelten. »Thalion!«, rief er und hob die Hand, um einen blonden Jungen in seinem Alter zu sich zu winken.
Der Junge kam so hastig angelaufen, dass Kiyoshi fragend eine Augenbraue hob.
Milan lächelte schief. »Tja, mein Prinz. Für manche bin ich hier der Kaiser unter den Gefangenen.«
Kiyoshi wusste, was er meinte. Milan hatte etwas an sich, das ihn als geborenen Führer auszeichnete, selbst jetzt noch, wo er am Boden lag – verbittert und völlig mutlos.
»Thalion, pass auf unseren Prinzen hier auf«, bat Milan. Thalion riss die Augen auf und betrachtete Kiyoshi mit einer Mischung aus Verblüffung und Fassungslosigkeit. »Prinz Kiyoshi?«, fragte er ungläubig.
Kiyoshi warf Milan einen zornigen Blick zu. »Ja, der bin ich«, antwortete er, doch dann besann er sich. »Oder vielleicht könnte man auch sagen, dass ich es war. Inzwischen hat mich das gleiche Schicksal ereilt wie euch. Vielleicht macht ihr euch darüber mal einen Moment Gedanken!« Bei den letzten Worten wandte er sich demonstrativ Milan zu.
Inzwischen waren immer mehr junge Menschen zwischen den Baracken hervorgeströmt und hatten sich um sie versammelt. Neugieriges Murmeln war zu hören und Kiyoshis Name fiel mehr als einmal. Die Nachricht, dass der Prinz im Lager der Söldner war, hatte sich in Windeseile herumgesprochen.
Jailyn, das Mädchen, das Kiyoshi gestern geholfen hatte, bahnte sich einen Weg durch die Reihen. Gleich hinter ihr tauchte ihr rothaariger Gefährte auf und verzog das Gesicht, als er Kiyoshi entdeckte. »Der lebt ja noch«, knurrte er ungehalten. »Hey, alle mal herhören!«, rief er und das Gemurmel
Weitere Kostenlose Bücher