Sayuri
ihre Stimme schärfer klang, als sie beabsichtigte.
»Ich habe versucht, ihr zu zeigen, wie sie mithilfe von Magie laut sprechen kann«, erklärte Suieen. »Ich denke, es könnte ihr gefallen.« Nachdenklich drehte er sich zu Sayuri um, die sich an ihn lehnte und die Augen geschlossen hatte.
»Ja …« Marje musste widerwillig feststellen, dass das etwas war, was Sayuri sich mit Sicherheit wünschte. Plötzlich eine Stimme haben zu können, eine Stimme, die jeder hören konnte und die in ihren Ohren klang … Beschämt wandte sie sich ab. Er schien Sayuri wirklich nicht schaden zu wollen.
Wann war sie nur so misstrauisch geworden? Erst gegenüber Kiyoshi, der ihr mehrfach das Leben gerettet hatte – und jetzt war Suieen an der Reihe. Offenbar misstraute sie jedem, der ihr auf die eine oder andere Weise helfen wollte.
Kiyoshi … Wieder flammten heiße Schuldgefühle in ihr auf. Ohne sich noch einmal nach ihm umzudrehen, war sie davongerannt, bis ihre Füße sie nicht mehr tragen konnten. Nicht einen Blick hatte sie über die Schulter geworfen.
Müde strich sie sich die Haare aus der Stirn. Sie hoffte so sehr, dass er noch am Leben war. Dass sie eine Chance bekam, all das, was sie gesagt und getan hatte, wiedergutzumachen!
Fast glaubte sie, die Dunkelheit der Nacht zu spüren, die sich langsam über den Wald legte. Sie war so dicht wie die Stille, die zwischen den Bäumen herrschte.
Doch einige Momente später sah sie winzige Lichtpunkte zwischen den Bäumen, die rasch größer wurden. Und plötzlich sammelten sich kleine Scharen von Irrlichtern um sie und tauchten ihre Gruppe in ein Meer aus Licht.
Aufgeregt sirrend schloss Shio sich den Irrlichtern an. Der Schwarm umspielte die Flanken der Zentauren, dann stiegen sie in die Höhe und flogen in die Kronen der Bäume, wo sie wie kleine Feuer zwischen den knorrigen dunklen Ästen leuchteten.
Marje drehte und wendete ihren Kopf, sie konnte sich nicht sattsehen an dem Schauspiel und auch Sayuri wachte für einen Moment auf und sah mit einem leichten Lächeln zu den winzigen Leuchtwesen hinauf.
Die Zentauren dagegen hatten ihren Lauf nicht gemindert, ganz im Gegenteil. Ihr Galopp schien fast noch schneller zu werden. Suieens Zentaur schwenkte zwischen zwei schmalen Bäumen hindurch, die sich elegant zur Seite bogen, und plötzlich brachen die Zentauren durchs Dickicht.
Völlig unvermutet hatten sie das Ende des Waldes erreicht.
Auf der Sandebene hinter dem Waldrand kamen sie zum Stehen und hoben die Köpfe zum Himmel. Die Irrlichter umkreisten noch einmal die drei Zentauren, ehe sie sich in die Höhe schraubten und zurück in den Wald flogen. Das Sirren ihrer unzähligen Stimmen erstarb mit dem schwindenden Licht. Nur Shio hing noch über ihnen in der Luft und tauchte den Wüstenboden in ein warmes rotes Licht.
Marje stieg vom Rücken der Zentaurin und stützte Sayuri, die ihr schlaftrunken entgegentaumelte, nachdem der andere Zentaur sie auf den Boden gehoben hatte.
Suieen war selbst hinuntergesprungen und kam leichtfüßig zum Stehen. Dankbar verneigte er sich vor den Zentauren, die es ihm nachtaten.
»Es war uns eine Ehre«, sagte derjenige, der als Späher vorausgeeilt war, fröhlich. Doch als er nach einer kurzen Pause erneut seine Stimme erhob, wurde er ernst. »Ich möchte euch noch einen Rat mit auf den Weg geben. Nehmt euch in Acht vor den Söldnern. Sie sind gierig und werden keinerlei Erbarmen zeigen, wenn sie euch in die Finger bekommen. Ihr solltet ihnen besser aus dem Weg gehen.« Suieen nickte wissend. »Über die Söldner der Nordmine hört man nichts Gutes «, meinte er. »Aber vorläufig führt unser Weg genau dorthin.«
»Dann wünschen wir euch Glück«, sagte die Zentaurin. »Es sind nur noch ein paar Schritte von hier über die Dünen, dann könnt ihr das Lager bereits sehen«, erklärte sie.
Marje hatte das Gespräch mitverfolgt. Sie spürte, wie ihr mulmig wurde, und sie musste an Milan denken, daran, wie sie ihn verflucht hatte, als sie ihm in den Palast gefolgt war. War ihr jetziges Vorhaben nicht genauso selbstmörderisch wie das Attentat auf den Kaiserbruder?
Noch dazu kam, dass die Zentauren gleich in ihren Wald zurückkehren würden. Dann wären sie und Sayuri allein mit dem Jungen, der ihr noch immer Furcht einflößte. Sein gelber Blick, seine seltsamen Hände und das schmale Gesicht waren ihr nicht geheuer. Unruhig streifte ihr Blick über die Dünen, als sie nach Yuuka Ausschau hielt, doch die riesige Raubkatze würde
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