Sayuri
ihm noch immer nicht zurückgegeben hatte, und vergrub das Gesicht darin, um tief seinen Geruch einzuatmen.
Verdammt! Was tat dieser Junge nur mit ihr, dass sie ständig über ihn nachgrübelte? Das passte so gar nicht zu ihr.
Das hier war nicht sie. Die alte Marje hätte sich aufgemacht, Kiyoshi zu suchen und ihn zur Rede zu stellen.
Und nichts anderes wollte sie jetzt tun!
Mit energischen Schritten ging sie hinüber zu den neu aufgebauten Baracken. Unter aufgespannten Fellen drängten sich Menschen um kleine Feuer. In den Gesichtern spiegelte sich Zuversicht – Marje hörte, wie Pläne geschmiedet und Aufgaben verteilt wurden. Sie hätte sich nicht träumen lassen, wie schnell sich die Gefangenen von den traumatischen Erlebnissen erholen konnten. Sie sah die kleineren Kinder im Sand spielen – die Älteren kochten die Speisen, die die Zentauren für sie gebracht hatten. Ein emsiges Summen herrschte über alldem – etwas, das Marje auch früher im Westviertel der Taller gemocht hatte.
Suchend durchstreifte sie die schmalen Gänge zwischen den Baracken, sah erst in Milans Zelt nach, das eine Art Versammlungsort geworden war, dann versuchte sie es bei Kiyoshi. Aber vergeblich. Auch von Thalion und Thesu fehlte jede Spur.
Stattdessen entdeckte sie Suieen und Sayuri. Die beiden saßen im Sand vor den großen terrassenförmigen Stufen des Platzes beisammen. Zwischen ihnen schwebte Shio und verströmte warmes, angenehmes Licht. Von Yuuka war nichts zu sehen.
Als sie Marjes Blick bemerkten, unterbrachen sie ihr Gespräch und Marje sah, wie Sayuri hastig ihre Hand aus Suieens zog. Sie musste sich ein Grinsen verkneifen. Sie wandte sich ab, um die beiden allein zu lassen, aber da winkte Sayuri sie schon zu sich herüber.
Marje spürte einen kleinen Stich in ihrem Herzen. Sayuri schien ihr in Suieens Anwesenheit viel fröhlicher zu sein. Oh verdammt. Jetzt wurde sie auch noch eifersüchtig auf Suieen! Sie unterdrückte ein Stöhnen und setzte sich zu ihnen.
Sayuri nahm ihre Hand und wartete, bis Marje sie anblickte.
Ich wollte dir etwas sagen , hörte Marje ihre leise, glockenhelle Stimme.
Danke, dass du mich gesucht hast. Danke für alles, was du für mich getan hast.
Marje lächelte und drückte ihre Hand. »Du hast auch viel für mich getan. Für uns alle.« Sie schloss mit einer Handbewegung das ganze Lager ein.
Sayuri wechselte einen Blick mit Suieen.
»Was ist?«, fragte Marje irritiert und sah erst zu ihrer Freundin, dann zu dem Mischling, der sie plötzlich angrinste, wobei seine spitzen Eckzähne aufblitzten.
»Sie hat dich gerade gefragt, ob du nicht eigentlich zu Kiyoshi wolltest«, erwiderte er, noch immer grinsend.
Er steigt gerade den Hang hinauf , fügte Sayuri hinzu. Auch auf ihrem Gesicht lag jetzt ein spitzbübisches Lächeln. Überrascht drehte Marje ihren Kopf und sah, wie Kiyoshi sich von einer Gruppe Zentauren entfernte, die am Lagerrand zum Stehen gekommen war und in Richtung Wüstenkamm kletterte. Als er oben angekommen war, ließ er sich in den Sand sinken.
Marje schluckte. Das nagende Gefühl in ihrem Bauch ließ sie zögern. Wenn er mich bei sich haben wollte, hätte er mich ja fragen können, dachte sie trotzig.
Geh zu ihm , forderte sie Sayuris Stimme belustigt auf. Sie beugte sich zu Suieen und flüsterte ihm leise etwas zu, woraufhin er lächelte.
Marje stand auf, plötzlich unsicher. Wollte sie wirklich Kiyoshi hinterherlaufen?
Sie runzelte die Stirn. Ja. Wenn sie ehrlich war, wollte sie genau das.
Sayuri griff noch einmal ihre Hand. Du musst deinem Gefühl folgen, flüsterte sie, plötzlich ernst geworden. Das tue ich auch. Denk immer daran.
Mit einem tiefen Seufzer wandte Marje sich um und entfernte sich mit schnellen Schritten. Sie war sich nicht sicher, ob Sayuri ihre Gedanken nur erraten hatte oder ob sie in ihr lesen konnte wie in einem offenen Buch.
Sie lief an den Baracken und Zelten vorbei, drängte sich durch die Zentaurenherde, die sie wie eine alte Bekannte begrüßte, und kletterte den Hang hinauf.
Als sie in Kiyoshis Nähe kam, zwang sie sich, wieder langsamer zu gehen. Unsicher biss sie sich auf die Unterlippe und ärgerte sich über das aufgeregte Flattern in ihrem Bauch. Schließlich wagte sie es, den Blick zu heben, und sie bemerkte, wie er ihr entgegensah, ohne dass sie den Ausdruck auf seinem Gesicht hätte deuten können.
Zögernd blieb sie vor ihm stehen und schaute auf das Lager hinab. »Vielleicht irre ich mich, aber irgendwie habe ich den
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