SB 121 – Mission Zeitbrücke
fühle mich für den Jungen verantwortlich. Nach der Lugosiade wird er mich nach Skand begleiten, um dort seine Ausbildung fortzusetzen. Auf Skand leben fast nur Kranen. Es wird schwer sein, ihn dort von seiner Überzeugung abzubringen.«
»Glaubst du, dass er seine Meinung ändern wird, nur weil ein Nicht-Krane ihm eine Lehre erteilt?«, fragte Mallagan skeptisch.
»Natürlich nicht. Aber eine solche Niederlage würde seine Überzeugung ins Wanken bringen. Das allein wäre schon ein Fortschritt.«
Scoutie sah den Kranen betroffen an. Bis zu diesem Augenblick hatte sie seine Schnelligkeit bewundert und seine Selbstsicherheit für etwas gehalten, was sich aus der Gewissheit ergab, auf einem bestimmten Gebiet so gut wie unschlagbar zu sein. Jetzt erst erkannte sie, wie oberflächlich diese Beurteilung war.
Sie erinnerte sich, was Brether Faddon berichtet hatte. Es gab Kranen, die Cylam einen Verräter nannten. Zu seinen Schülern gehörten Wesen, deren Völker zwar in das Herzogtum integriert waren, die aber aus dunklen, instinktiven Regungen heraus vielfach noch mit Misstrauen betrachtet wurden. Man war zweifellos gründlich daran gewöhnt, dass Nicht-Kranen alle möglichen Dinge erlernten. Schließlich brauchte man die Hilfe der eroberten Völker, sollte die Expansion des Herzogtums weiterhin betrieben werden. Aber es gab Unterschiede in der Art des Wissens, das einem Nicht-Kranen vermittelt wurde. Dass Cylam die Kenntnis uralter, traditioneller Kampfarten an Artfremde weitervermittelte, musste traditionsbewussten Kranen tatsächlich ein Dorn im Auge sein – besonders aber jenen, die sich als Angehörige eines auserwählten, besseren Volkes fühlten. Damit, dass auch Artfremde lernen konnten, ein Raumschiff zu steuern und komplizierte Maschinen zu bedienen, hatten sie sich abgefunden. Die Vorstellung jedoch, dass diese Fremden in die Lage versetzt wurden, die Kranen im direkten Kampf mit deren eigenen Waffen zu schlagen, mochte vielen als unerträglich erscheinen.
Scoutie schob das Argument, dass sie als Betschidin keinen Grund hatte, sich über solche Dinge Gedanken zu machen, als nicht stichhaltig beiseite. »Was soll ich tun?«, fragte sie.
»Überlege es dir!«, stieß Faddon beschwörend hervor. »Lege dich nicht mit einem Kranen an, gerade wenn er so jung ist.«
Scoutie ignorierte den Einwand. »Verrate mir deinen Trick!«, wandte sie sich an Cylam.
Der Hüne lächelte, und plötzlich erkannte Scoutie in seinem Blick etwas, das sie bei einem Kranen bislang nicht gefunden hatte: Es war der Ausdruck ehrlicher Freundschaft.
»Du musst ihn hier treffen.« Cylam deutete auf einen Punkt knapp oberhalb seines linken Hüftknochens. »Das schaltet ihn blitzartig aus, und er wird keine Schmerzen dabei empfinden. Lass mich deine rechte Hand sehen.«
Scoutie streckte die Hand aus. »Sie hat genau die richtige Form und Größe«, urteilte der Krane. »Für uns ist das eine schwierige Technik, denn wir können nur zwei Finger dabei zum Einsatz bringen. Du musst die Finger gestreckt halten und den Daumen nach unten abwinkeln. So ist es gut. Nun versuche es – aber leg nicht deine ganze Kraft hinein, denn sonst erwischt es mich.«
Scoutie sah ihn zweifelnd an.
»Ich bin darauf vorbereitet«, versicherte er.
»Der da drüben auch«, knurrte Faddon besorgt. »Er beobachtet uns.«
»Das wird ihm nichts nützen«, behauptete der Krane. »Er hält sich und seinen Körper für perfekt. Dass ich ihm überlegen bin, kann er zur Not einsehen, aber er würde es niemals für möglich halten, dass ein Fremder ihn auf diese Weise treffen könnte.«
Scoutie zögerte nicht länger. Sie ging auf Cylam zu, dessen Muskeln sich spannten.
»Der Junge wird genauso reagieren!«, warnte Faddon.
»Und wennschon«, flüsterte Scoutie und stieß dem Kranen die Finger in die Seite.
Sie sah und spürte das Zucken, das durch den mächtigen Körper ging. Als sie den Kopf in den Nacken legte, erkannte sie in den Augen des Kranen den Ausdruck von Schmerz. Aber Cylam fing sich sofort wieder.
»Das war sehr gut«, ächzte er. »Du musst ihn gar nicht stärker treffen.«
»Ich werde es mir merken«, versicherte Scoutie.
»Halte dich nicht lange mit Rujum auf. Er wird sich sowieso gegen den Gedanken sträuben, dass er es gegen dich aufnehmen soll. Bring ihn zu Boden, je schneller, desto besser. Aber sieh dich vor. Sobald ihn die Wut übermannt, wird er versuchen, dich zu töten.«
Zum ersten Mal spürte Scoutie Angst in sich aufsteigen.
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