Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman
Antworten nötig wie noch nie in meinem Leben, aber ich weiß nicht, wo ich sie suchen soll. In dir selbst , flüstert eine innere Stimme. Aber es ist gar nicht so einfach, in sich hineinzusehen.
Ich laufe umher auf der Suche nach Antworten. Ich laufe, denn wenn ich stehen bleibe, holen meine Fragen mich ein und bedrängen mich. Da schrillt mein Handy los, mit diesem schrecklichen Klingelton, der sich wie ein uraltes Telefon anhört. Aber nur so bemerke ich es: Ich habe es schon mit den verschiedensten Melodien versucht, aber anstatt ans Handy zu gehen, habe ich nur zerstreut mitgesummt. Ich sehe aufs Display: Es ist Manuela!
»Hallo, Sternchen!«, schreit sie. Nur sie und Matteo haben mich so genannt. Sie überschüttet mich mit Klatsch über ihre ersten Tage im neuen Schuljahr, über die neue Geschichtslehrerin und ihre neue Frisur, mit der sie auch in diesem Jahr wieder einen großen Auftritt hingelegt hat, ein asymmetrischer Stufenschnitt. »Es sieht echt super aus! Und du müsstest mal die Farbe sehen, irgendwas zwischen rosa und orange, wie ein Pfirsich. Kannst du es dir vorstellen?«
Ich versuche es zwar, aber das ist einfach nicht das Gleiche, als würde sie vor mir stehen. Deshalb beschränke ich mich auf ein begeistertes »Ja«, das allerdings etwas künstlich klingt. Als ich mit Erzählen dran bin, berichte ich von Umberto und seinen schmalen Händen, von Lavinia und den Lavinia-Girls, von Caterina Rehauge, von Genziana … Ich rede ohne Punkt und Komma, ich rede, um nicht die Antwort auf die Frage hören zu müssen, die unweigerlich in meinem Kopf entsteht und mich nicht mehr loslässt.
Doch Manuela kennt mich zu gut und antwortet, ohne dass ich sie gefragt habe.
»Du fehlst uns, Scarlett. Uns allen. Die Balboni hat sogar aufgehört, Blondinen zu hassen, seit du nicht mehr da bist.«
Ich verharre in gespanntem, erwartungsvollem Schweigen.
»Du fehlst mir. Und Matteo vermisst dich wahnsinnig. Ich glaube, er hat sich in dich verliebt.«
Eine Welle von Gefühlen überschwemmt mich. Die Entfernung zwischen uns wird mir schlagartig bewusst, trifft mich wie ein Schlag in den Magen und nimmt mir den Atem.
»Ihr fehlt mir auch«, bringe ich gerade noch leise heraus. Eine heftig brennende Sonne streichelt glühend heiß meine Haut, doch sie kann die Eiseskälte in mir nicht auflösen.
9
D en Kopf zu benutzen verbraucht mehr Kalorien als ein Vierhundert-Meter-Hürdenlauf. Zumindest meine ich, so was irgendwo gelesen zu haben. Also verbrauche ich jetzt Kalorien, während ich auf dem Schaukelstuhl sitze, der zwischen dem Schrank und der Wand steht. Mein Nest aus alten Teddybären, die meine wilden Zärtlichkeiten und Kinderspiele verschlissen haben.
Heute ist Freitag. Der Tag der Venus, würde Genziana jetzt sagen. Die Woche ist wie im Flug vergangen, mit Höhen und Tiefen und dem Heimweh nach einer Welt, die nicht mehr meine ist. Seit dem Zusammenstoß mit Lavinia weicht Pietro mir nicht mehr von der Seite und verbringt mit Lorenzo und uns die Pausen unter dem mächtigen Baum mit den tiefhängenden Ästen.
»Los, gehen wir alle zu Großmutter Eiche!«, hat Genziana gestern gerufen. Sie hat für alles einen Namen. Und dann schafft sie es immer, mich oder Cat mit den unmöglichsten Verehrern zu nerven. »Du hast ja einen neuen Mär-chen-prin-zen«, flötet sie, als sie Pietro hinter mir auftauchen sieht, schweigend und verlässlich in seiner neuen Rolle als Bodyguard. Das Ganze ist mir ziemlich peinlich, aber ich kann nichts dagegen tun. Und Pietro mag ja ein bisschen komisch sein, aber Lorenzo ist für mich ein Buch mit sieben Siegeln. Er meckert an allem und jedem herum, scheint sich ständig zu langweilen und hat sich immer mit Genziana in der Wolle. Sobald sie den Mund aufmacht, muss er prompt mit dem genauen Gegenteil kontern.
Heute haben sie sich aus einem absolut blödsinnigen Anlass gestritten. Genziana hat gesagt, Ahörnchen und Behörnchen seien Geschwister. Lorenzo meinte, die seien allerhöchstens Cousins, Brüder wären nur Tick, Trick und Track.
»Was haben jetzt die Ducks damit zu tun? Wir waren doch bei Streifenhörnchen!«
»Das sind doch auch Comicfiguren.« Und aus diesem Quatsch ist dann eine ganze Diskussion über Verwandtschaftsbeziehungen in Comics entstanden.
»Aber die von der Panzerknackerbande waren doch auch Brüder, oder? Und was sind das überhaupt für Tiere?«, hat Caterina gefragt.
»Das sind Hunde«, hat Genziana geantwortet.
»Das sind doch keine Hunde … Goofy
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