Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman
verlassen.«
»Und das ist dir peinlich? Jeder andere würde damit angeben, dass er mit einer wie ihr zusammen war. Also, ich meine, sie ist doch wunderschön.«
»Schönheit ist nicht alles. Es gibt unendlich viele Dinge, die mir wichtiger sind. Außerdem kann ich Oberflächlichkeit nicht ausstehen.« Er greift mit der Hand in die Tüte, dabei streift er zufällig meine Hand.
Ich zucke vor der Berührung zurück und entschuldige mich hastig. Dieser unerwartete Kontakt hat mir einen Schauer über den Rücken gejagt. Unwillkürlich muss ich daran denken, wie zart seine Hände sind, und erröte wieder.
Dann stehe ich auf und halte ihm die Tüte mit den letzten zwei Plätzchen hin. »Die hier sind jetzt aber für dich. Und danke für die Besichtigungstour.«
Ich drehe ihm den Rücken zu und entferne mich hastig. Was ist denn bloß mit mir los? Zurzeit gerate ich beim unschuldigsten Körperkontakt mit dem anderen Geschlecht in Panik.
Ich bin durcheinander. Umberto ist wirklich nett. Ich lösche die Erinnerung an seine Hand aus meinem Gedächtnis und haste die Treppe zum Eingang hinauf, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Als ich das Klassenzimmer erreiche, klingelt es, genau zum richtigen Zeitpunkt. Caterina sitzt auf ihrem Tisch, lässt die Beine herunterbaumeln und schaut ins Leere.
»Grüße von Umberto«, sage ich, nur, um ein Gespräch anzufangen, und von jetzt auf gleich geht ihr angespannter Gesichtsausdruck in ein Lächeln über.
»Wirklich?«
»Sicher! Er hat es mir extra aufgetragen.« Das ist eine kleine Lüge. Ich weiß nicht, warum ich das gesagt habe, vielleicht instinktiv. Denn eine innere Stimme flüstert mir zu: Caterina ist in Umberto verliebt.
Federica, Lavinias Cousine, wirft mir von ihrem Platz aus der ersten Reihe einen schiefen Blick zu. Weiß sie etwas, das ich nicht weiß?
8
U nser Italienischlehrer Herr Vanzi hasst mich. Er hat mich vom ersten Tag an abgelehnt, da ist nichts zu machen. Das habe ich sofort daran bemerkt, wie er seine werwolfartigen Augenbrauen hochgezogen hat, als er von mir verlangte, ich solle ihm mal so in groben Zügen meine Vorkenntnisse schildern. Ich habe ein bisschen herumgestottert … und dann kam überhaupt nichts mehr. Vor mir die große Leere. Ich war stumm wie ein Fisch.
Wie peinlich! Aber wenigstens benimmt sich Caterina allmählich wieder normal. Vielleicht ist sie wirklich in Umberto verliebt. »Ich werde euch niemals sagen, wer es ist! Also hört auf mich deswegen zu löchern.« Ich weiß es nicht genau, aber die Anzeichen sprechen eine deutliche Sprache. Man braucht nur »Umberto« zu sagen, und ihre Rehaugen leuchteten. Sie hat mir die Zettelchen gezeigt, die zwischen ihr und Genziana in der Chemiestunde hin- und hergegangen sind, mit den Bemerkungen zu Herrn Lanzoni. Genziana findet ihn tatsächlich toll! »Dieses Brave-Jungen-Image kauf ich ihm nicht ab«, hat sie geschrieben. »Seine Augen funkeln, und außerdem trägt er keine Armbanduhr.« Ja, und? Wenn man Genziana glauben mag, zeigt das, wie frei er ist, trotz seiner Position an der Schule. Na ja, kann sein … Aber ich hatte keinen Nerv, darüber nachzudenken, weil ich versucht habe, mich auf die Atome und die Periodentafel der Elemente zu konzentrieren. Hilfe!
Ich beiße in einen Apfel und laufe in Richtung Bibliothek. Dort möchte ich ein paar ruhige Stunden verbringen, bevor ich nach Hause gehe. Ich habe keine Lust, meiner Mutter früher als nötig zu begegnen. Heute Morgen beim Frühstück herrschte am Tisch dicke Luft. Papa war schon gegangen, und Simona hatte diesen finsteren Blick, den, der ein heftiges Donnerwetter ankündigt. Dann bleibt man am besten so lang wie möglich weg.
Manchmal glaube ich, dass Marco von uns allen am meisten unter der Situation leidet. Er ist zu klein, um selbst zu entscheiden, ob er ein paar Stunden länger fortbleibt. Zu klein, um sich die Kopfhörer aufzusetzen und sich bei voller Lautstärke einen Song von Opeth reinzuziehen, nur um die Streitereien da unten nicht mehr hören zu müssen und die nötige Ruhe zu finden, um einschlafen zu können. So wie ich es gestern Nacht getan habe.
Wenn du sechs Jahre alt bist, kannst du dich noch nicht vor der eigenen Familie schützen, die ja eigentlich dich vor der Welt schützen müsste.
So in Gedanken versunken bemerke ich die allmählich näher kommenden Stimmen hinter mir nicht, und als ein Finger mir plötzlich auf die Schulter tippt, hätte ich beinahe aufgeschrien. Als ich mich umdrehe, blicke ich
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