Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman
Ich habe noch nie so oft das Wort »Haarreif« gesagt. Und ich verspreche mir feierlich, dass ich in meinem ganzen Leben niemals so ein unaussprechliches Accessoire tragen werde.
Ich schaue wieder hoch. Die Menge tobt. Die Mädchen haben sich untergehakt und hüpfen gemeinsam hoch. »Vincent!«, schreit die Kleine vor mir. »Mikael!«, ruft eine andere weiter weg.
Ich bin total aufgekratzt. Vielleicht steckt diese lächerliche Aufregung all dieser schreienden Mädchen mich ja an. Mein Adrenalinpegel steigt wie eine Flutwelle. Wieder schubst mich eine Gruppe Schüler auf der Suche nach einem besseren Platz nach vorn. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können. Genziana packt mich am Arm, ich klammere mich an Caterina, und gemeinsam schieben wir uns durch die Menge. Einen Moment lang dreht sich alles um mich, aber ich drücke weiter, und erst als Genziana stehen bleibt, bemerke ich, dass wir uns einen super Platz erkämpft haben. »Yeah!« Die Plätze ganz vorn an der Bühne bleiben ein unerreichbares Ziel, sie werden mit Zähnen und Klauen von einer Gruppe hysterisch kreischender Mädels verteidigt.
Das Licht in der Halle geht aus. Ein paar Scheinwerfer überfluten den unteren Teil der Bühne mit Licht. Einen Moment lang starre ich verwirrt das Podest an, auf dem das Schlagzeug, das Mikrofon und die Tonanlage stehen. Ziemlich bald vereinen sich die Rufe von Mikaels Verehrerinnen mit denen von Vincents Fans zu einem einzigen lauten Sprechchor: »Dead Stones! Dead Stones!«
Das erste Bandmitglied erscheint auf der Bühne. Eine Silhouette im Gegenlicht, die von einem Aufschrei der Menge begrüßt wird. Es ist der Schlagzeuger, lange wasserstoffblonde Haare und eine verkehrt herum aufgesetzte Baseballkappe. Er nimmt seinen Platz ein und beginnt die Snare drum zu schlagen. Dann kommt ein schlanker, muskulöser Junge über das Podest, der mit seinem leichten, fließenden Schritt die Luft zu durchteilen scheint. Sein linker Arm ist bis zum Handgelenk tätowiert, und er trägt ein zerknittertes T-Shirt über einer dunklen Jeans. Er streicht sich die schwarzen Haare zur Seite, die einen Teil seines Gesichts verdecken. Seine Augen leuchten wie glühende Kohlen, als er sich die Gitarre greift und ins Mikrofon schreit: »Wir sind die Dead Stones, im Feuer gehärtete Steine!«
Einen Moment lang habe ich das Gefühl, einem einzigartigen Schauspiel beizuwohnen. Das Publikum scheint völlig durchzudrehen, und ich weiche instinktiv einen Schritt zurück. Caterina scheint es nicht zu bemerken, sie ist vollkommen darauf konzentriert, den Jungen mit den nachtschwarzen Haaren anzustarren. Ein ekstatischer Ausdruck liegt auf ihrem Gesicht. Nur gut, dass Vincent nicht ihr Typ ist, denke ich und muss grinsen. Genziana hatte recht.
Langsam, beinahe mit militärischem Schritt hält das letzte Bandmitglied Einzug auf die Bühne. Ein Typ mit kastanienbraunen Haaren mit attraktiven honigfarbenen Strähnchen darin und so hellen Augen, dass ich sogar an meinem Platz davon geblendet werde. Er ist unglaublich schön, geradezu übermenschlich. Seine Gesichtszüge wirken wie in schneeweißen Marmor gemeißelt. Er ist groß, hat breite Schultern und muskulöse Arme. Seine Klamotten sind genauso schwarz wie sein Instrument: ein E-Bass. Was mich am meisten beeindruckt, ist die natürliche Ungezwungenheit, mit der er sich über die Bühne bewegt, er schwebt durch die Luft und scheint sich überhaupt nicht der Wirkung bewusst zu sein, die er auf den weiblichen Teil des Publikums in der Halle ausübt. Er wirkt abwesend, so versunken in seiner ganz eigenen Welt, dass er sogar vermeidet, in die Menge zu schauen.
Vincent dagegen provoziert und heizt die vordersten Reihen an. Seine Bewegungen sind genau darauf abgezielt, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, er scheint eine echte Rampensau zu sein. Tatsächlich reicht jetzt eine Handbewegung von ihm, und der Saal fällt in unwirkliches Schweigen. Er senkt beide Arme mit der großen Geste mancher Dirigenten, und es ist, als würde die Zeit einen Augenblick stehen bleiben. Das Scheinwerferlicht wird schwächer, und wieder umhüllt mich Stille. Der Schlagzeuger schlägt ein paarmal die Bassdrum, und dann hört man wieder nichts. Bis auf das Geräusch meiner Herzschläge. Ich atme tief ein und warte angespannt darauf, dass dieses Etwas, das ich noch nicht kenne, aber worauf alle anderen schon zu warten scheinen, endlich passiert.
Mikael beginnt eine tiefe und pulsierende Basssequenz,
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