Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman
dabei ab und zu mit dem Schwanz. Zeit … da war doch was. Ach ja. »Ich bin viel zu spät. Deshalb bin ich so gerannt. Aber das habe ich ganz vergessen, als ich …«
… dir begegnet bin, denke ich. Aber das spreche ich natürlich nicht aus.
»Wie spät ist es? Ich traue mich gar nicht nachzusehen. Oh Mann, jetzt bin ich geliefert. Herr Vanzi, dieser Menschenfresser …«
»Keine Angst, ich kümmere mich darum.«
»Wie denn? Du kennst ihn nicht. Das wird er mir nie verzeihen.«
»Ich kümmere mich darum, Scarlett.« Ich liebe es, wie er meinen Namen ausspricht. Von seinen Lippen klingt er wie der Name eines kostbaren Edelsteins.
Moment mal … Ich habe ihm doch gar nicht gesagt, wie ich heiße! Na ja, schließlich hat er sich mir auch nie vorgestellt, und trotzdem weiß ich einiges über ihn. Doch halt, das ist nicht das Gleiche, er ist der berühmteste Bassist der ganzen Schule, während ich eine kleine, unbedeutende Schülerin bin, die gerade erst hierhergezogen ist.
»Ciao, Black, bis später.« Das Kätzchen schaut von der Tasse auf und miaut leise. Mikael öffnet die Tür und lässt mir wie ein richtiger Gentleman den Vortritt. An seiner Seite scheine ich zu schweben. Offensichtlich ist mir nicht so ganz bewusst, was mich gleich im Klassenzimmer erwartet. Ich klammere mich an das bisschen Vernunft, was mir noch geblieben ist und sage: »Vielleicht geh ich doch besser ins Sekretariat wegen einer Entschuldigung. Ich glaube, es ist keine so gute Idee, wenn du mich begleitest, ich möchte dich nicht in Schwierigkeiten bringen.«
Er dreht sich um und schaut mir tief in die Augen: »Überlass das mir, Scarlett.«
Ich gebe es auf. Stumm laufe ich hinter ihm her. Im Augenblick würde ich ihm überallhin folgen, und das erschreckt mich. Mikael klopft an die Tür zu meinem Klassenzimmer, und bevor ich es so richtig mitbekomme, redet er schon mit Vanzi: »Entschuldigen Sie die Störung. Es hat einen kleinen Unfall gegeben, deshalb musste ich Ihnen eine Ihrer Schülerinnen entführen.« Die betreffende Schülerin versteckt sich mit vor Angst geweiteten Augen hinter seinem Rücken und hebt resigniert die Hände.
»Was für einen Unfall?«, fragt Vanzi und zieht misstrauisch die dichten Augenbrauen zusammen. In der Klasse herrscht unnatürliches Schweigen, die Spannung ist greifbar. Alle Mädchen hängen an den Lippen meines Begleiters.
»Ich habe gerade Material aus dem Chemielabor geholt, und dabei hat sich an dem Wagen ein Rad gelöst. Hätte diese Schülerin nicht sofort zugegriffen, wären wichtige Versuchsproben und anderes empfindliches Material zerstört worden.«
Ich warte darauf, wie Vanzi reagiert. Wahrscheinlich wird er mir jetzt eine Szene machen, einen Wutanfall bekommen, mit der Faust auf den Tisch schlagen und schließlich einen Finger auf mich richten und mir eine Strafpredigt halten.
Stattdessen bricht er in schallendes Gelächter aus.
»Na wunderbar, dann haben Sie die Schule vor einer Umweltkatastrophe gerettet. Gehen Sie nur und passen Sie das nächste Mal besser auf.«
Träume ich etwa noch? Vielleicht ist Vanzi auch gar nicht Vanzi, vielleicht haben ihn Aliens entführt und durch einen Klon ersetzt!
Mikael verabschiedet sich, aber vorher zwinkert er mir noch verschwörerisch zu. Er scheint die Lippen nicht zu bewegen, aber trotzdem höre ich seine tiefe Stimme: »Bis bald, Scarlett.« Ein Schauer fährt mir über den Rücken. Ich marschiere steif wie ein Roboter zu meiner Bank, während mich die ganze Klasse ungläubig anstarrt und man im Hintergrund leises Raunen hört.
Caterina lächelt mich an, und Genziana flüstert mir zu: »Superauftritt, Scarlett, aber nachher entkommst du mir nicht. Ich will jede Einzelheit hören.«
»Was hattest du denn mit Mikael Lancieri zu schaffen?«, fragt Laura leise mit weit aufgerissenen Augen. Ich bringe kein Wort heraus, treibe in einem warmen Meer widerstreitender Empfindungen. Mikael zieht all meine Gefühle wie ein Magnet auf sich. Wenn man mir erzählen würde, was ich eben erlebt habe, würde ich es nicht glauben.
Die Minuten vergehen wie im Flug. Ich versinke in einer unnatürlichen Betäubung und fühle mich, als würde ich hoch oben über den Wolken schweben.
22
H eute Nacht scheint kein Mond. Der Himmel ist wie ein schwarzes Bettlaken ohne Fixpunkte für uns Schiffbrüchige des Schlafes. Ich sitze am Schreibtisch und versuche vergeblich, den Worten im Geschichtsbuch zu folgen. Morgen wird abgefragt, aber ich kann einfach nicht
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