Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman
abfließen«, sagt Umberto und kommt an meine Seite. Aber Pietro drängt sich zwischen uns, und ich seufze erleichtert auf.
Die Reliefs an dem Brunnen der Piazza ziehen mich in ihren Bann.
»Das sind nicht die Originale«, stellt Umberto klar, »die werden im Museum von Santa Maria della Scala aufbewahrt. Aber auch die Nachbildungen sind vortrefflich.«
» Vortrefflich? Was ist denn mit dir los? Hast du zum Frühstück einen Reiseführer verschluckt?«, meint Lorenzo, und dieses Mal müssen wir alle laut lachen.
Alle außer Caterina. »Du bist ja bloß neidisch! Du lebst hier schon dein ganzes Leben lang und weißt nichts über deine Stadt.«
»Ich konzentriere mich … auf andere Schönheiten.«
Genziana verzieht das Gesicht, und Lorenzo tut so, als wäre er beleidigt. Dann hakt sie sich bei ihm unter und lächelt wieder.
So lassen wir uns ein wenig durch die Altstadt treiben, zwischen Schülergrüppchen und deutschen Touristen, unendlich vielen Tauben und ein paar alten Leuten, die auf einer Bank sitzen.
»Sieh mal, was für ein hübsches T-Shirt! Lasst uns hier hineingehen!«, schreit Cat. Kaum hat sie es angezogen, kommt ein Aufschrei: »Der Ausschnitt ist viel zu tief!« Auf den Regalen finde ich ein weißes T-Shirt mit einer weiten Halsöffnung, das eine Schulter frei lässt. QUEEN OF BONES lautet die Aufschrift, und es gefällt mir. Es wird mich immer an diesen Tag erinnern.
»Du bist wunderschön«, sagt Umberto, als ich aus der Kabine komme. Zum Glück ist Caterina gerade damit beschäftigt, sich die Accessoires anzusehen. Sie hat einen goldenen Haarreif in der Hand, und Genziana neben ihr schüttelt den Kopf, um ihn ihr auszureden. Beim Rausgehen haben wir Mädchen alle eine Tüte dabei. Wie nicht anders erwartet ist in der von Caterina der neue Haarreif. Genziana hat einen weiten Samtrock gekauft, der kobaltblau schimmert. Genau das Richtige für sie! Umberto hat mich gebeten, ihm bei der Wahl eines Schals zu helfen. Cat hat mir aus der Verlegenheit geholfen und das übernommen: Sie hat ihm einfach einen dunkelgrünen Schal um den Hals gelegt. »Der steht dir toll! Er betont deine Augenfarbe!«
»Aber ich habe doch braune Augen!«
»Mit grünen Einsprengseln!«
Endlich sitzen wir in der Eisdiele. Durch einen geschickten Trick haben Genziana und ich es hingekriegt, dass unser Rehauge auf Umbertos Schoß gelandet ist. Sie strahlt vor Glück! Auch wenn sie keinen Ton mehr sagt und ihre Wangen so rot geworden sind wie das Himbeereis, das sie isst.
Pietro macht sich über eine Schale mit einem Pfund Tiramisu her. Genziana und Lorenzo lassen keine Gelegenheit aus, miteinander zu streiten (merkwürdig). Endlich fühle ich mich als Teil einer Gruppe. Ich bin so voller Energie, als hielte ich meine persönliche kleine Oase der Glückseligkeit in Händen.
Ich balle die Hände fest zusammen, damit sie mir nicht davonschwebt.
30
S carlett, bist du dir sicher? Ich denke schon. Was hält meine innere Stimme davon? Nichts, sie bleibt stumm. Umso besser. Ich schreibe zwei Zeilen auf einen kleinen Zettel, den ich Umberto in der Fünfminutenpause geben werde. ICH MUSS DICH SPRECHEN. WIR SEHEN UNS IN DER PAUSE AN DEINEM GEHEIMPLATZ.
Ich lese ihn noch einmal durch. Er klingt genauso sachlich, wie er sein soll. Ich werde ihm persönlich erklären, warum ich seine Hilfe brauche. Heute hat Caterina nämlich in Mathe schrecklich versagt. Sie ist aus allen Wolken gefallen, als die Zini sie aufgerufen hat. »Cat, die meint dich«, habe ich ihr zugeflüstert. Sie schien aus ihrem Traumland zu erwachen und wurde rot wie eine Tomate. Sie konnte nicht eine einzige Aufgabe lösen. Nicht einmal die einfachsten Gleichungen! Ich möchte Umberto bitten, dass er ihr wieder Nachhilfe gibt wie im letzten Jahr. Das ist doch ein toller Vorwand, damit sie ein paar Stunden zusammen verbringen. Wenn Amor sich nicht entschließen kann, seinen Pfeil loszuschicken, dann muss ich ihm halt ein wenig auf die Sprünge helfen. Ich möchte Caterina nicht vor Liebeskummer eingehen sehen, das hat sie nicht verdient.
Es klingelt! Darauf habe ich nur gewartet. Ich sause über den Gang und stelle mich in die Tür der Zwölf Ypsilon. Umberto bemerkt mich und kommt zu mir.
»Für dich. Top secret«, sage ich und verschwinde, ehe mich der Englischlehrer im Gang erwischt. Ich habe allerdings Lavinias finsteren Blick bemerkt, als sie mich in der Tür gesehen hat. Sie winkt Sofia, und ich sehe, wie sie miteinander tuscheln. Es ist mir egal, was die
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