Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman
Genziana.
Daraufhin prusten wir wieder gemeinsam los, und Umberto setzt sich zu uns auf unser Floß. Wir plaudern über dies und das. Ich schweige die meiste Zeit und lasse die anderen reden. Wir haben gerade erst Frieden geschlossen, und ich möchte nicht, dass es noch mehr Missverständnisse gibt. Umberto sucht meinen Blick, und nach ein paar höflichen Sätzen erklärt er, warum er uns überfallen hat. »Was haltet ihr davon, das bisschen Sonnenschein zu nutzen, um heute Nachmittag ein wenig durch die Innenstadt zu bummeln?«
»Das wäre wunderbar«, zwitschert Caterina.
Ich bearbeite meine Fingernägel und bleibe stumm.
»Ich werde euch die Stadt zeigen, wie ihr sie noch nie gesehen habt. Und ich zeige euch, wo es das beste Eis von ganz Siena gibt! Ihr werdet es nicht bereuen.«
»Umberto interessiert sich leidenschaftlich für Geschichte, er ist ein wandelndes Lexikon. Das wird bestimmt interessant!«, sagt Caterina, dann wird sie rot und lächelt ihn an.
»Übertreib nicht, Caterina. So klingt das nicht gerade wie ein Kompliment. Eigentlich wollte ich die Gelegenheit nutzen, um etwas einzukaufen. Ich brauche einen neuen Schal.«
»Und seit wann gehen Männer gern shoppen?«
»Also mir macht das großen Spaß.«
Ich möchte ja nicht alles zu sehr auf mich beziehen, aber diese Einladung an uns alle scheint mir ein geschickter Versuch, mich in die Enge zu treiben, nachdem ich mich in letzter Zeit Umberto gegenüber so ablehnend verhalten habe. Zum Glück funkeln Caterinas Augen vor Freude.
»Um drei am Dom?«
»In Ordnung«, sagt Caterina.
»Okay«, nuschelt Genziana.
Ich beschränke mich auf ein Lächeln. Umberto zwinkert mir zu, und dann lässt er uns allein.
»Ich kann es gar nicht abwarten, dass es drei Uhr wird.« So glücklich habe ich Caterina schon lange nicht mehr gesehen.
»Möchtest du wirklich die Stadt besichtigen oder einfach nur ein bisschen Zeit mit deinem ehemaligen Mathe-Nachhilfelehrer verbringen?«, fragt Genziana mit einem hinterlistigen Lächeln und fängt sich prompt einen Ellenbogenstoß ein.
»Was sagst du denn da! Umberto und ich sind nur gute Freunde!«
Ich frage mich, ob Caterina sich selbst auch etwas vormacht. Vielleicht will sie sich nicht eingestehen, dass sie in jemanden verknallt ist, den sie für unerreichbar hält. Darin kenne ich mich aus …
Mitten in der vierten Stunde überrascht Rehauge Genziana und mich mit einem Zettelchen. Darauf steht in runder und bauchiger Kinderschrift: ICH HABE KEINE AHNUNG, WAS ICH ANZIEHEN SOLL, UND ICH BIN SO AUFGEREGT. LIEGT DAS AM HERBST? WOLLT IHR BEI MIR ZU HAUSE EINEN HAPPEN ESSEN? MEINE ELTERN SIND BEI DER ARBEIT, WIR SIND ALSO ALLEIN (ABGESEHEN VON MEINEM BRUDER, ABER DER ZÄHLT NICHT).
Ich drehe mich um. Genziana sieht mich an und hebt die Hände gen Himmel. Caterina ist wirklich hoffnungslos verknallt. Ich hoffe, dass ihr dieser Tag hilft, sie dem Objekt ihrer Begierde näherzubringen. Umberto sieht gut aus, er könnte jede haben, die er will. Er war mit Lavinia zusammen, die zweifellos eines der schönsten Mädchen der ganzen Schule ist. Was findet er bloß an mir? Warum lässt er mich nicht in Ruhe und konzentriert sich auf das Mädchen, das nur Augen für ihn zu haben scheint? Caterina mag ja keine auffallende Schönheit sein, aber sie ist sehr hübsch und hat ein Herz aus Gold.
Wenn man nur bestimmen könnte, wen man lieben möchte! Dann würde ich nicht die ganze Zeit vor mich hin grübeln … Und so denke ich also zur Abwechslung mal wieder an Mikael. Ich würde mir Siena lieber mit ihm ansehen.
28
C iao, Ma’, wir sehen uns heute Abend. Wir müssen ein Referat vorbereiten, und dann machen wir noch einen kurzen Stadtbummel. Ja. Mit Genziana und Caterina. Nein, es wird nicht zu spät.« Ich rufe aus dem winzigen Flur in Caterinas Wohnung zu Hause an, und wie üblich quetscht meine Mutter mich aus. Deshalb habe ich gelernt, immer nur die halbe Wahrheit zu erzählen.
Ich mag mir gar nicht erst die Diskussionen vorstellen, wenn sie wüsste, was wir wirklich vorhaben. »Wer ist dieser Junge, mit dem ihr euch trefft? Warum um alles in der Welt will er drei jüngere Mädchen in der Stadt herumführen? Hat er nicht vielleicht irgendwelche Hintergedanken? Wo wollt ihr hingehen? Er wird euch doch nicht alle in sein Auto laden, oder?«
Sie regt sich immer auf, wenn es um Jungs geht. Vielleicht liegt es daran, dass ich damals nicht geplant war, ich wurde geboren, als sie und mein Vater selbst noch halbe Kinder waren.
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