Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman
abzubrechen. Es ist doch immer das Gleiche mit Umberto.
Er packt mich am Handgelenk und hält mich gewaltsam zurück.
»Hey! Du tust mir weh … Was ist denn in dich gefahren?«
»Hör mir zu, Scarlett. Ich habe … ein wenig nachgeforscht.«
»Was?«
»Ich mache mir Sorgen um dich, deshalb habe ich beschlossen, mich ein wenig umzuhören und deinen tollen Freunden ein wenig hinterherzuspionieren. Was gar nicht so einfach ist, manchmal scheinen die sich einfach in Luft aufzulösen …«
»Was hast du gemacht?! Bist du jetzt total durchgeknallt?«
»Lass mich ausreden. Dann kannst du selbst entscheiden, ob ich übertreibe.«
»Okay.« Ich gebe auf, auch wenn ich spüre, wie sich allmählich immer mehr Wut in mir aufbaut.
»Mikael, Vincent und Ofelia; keiner von ihnen hat eine Familie. Sie sagen, dass die Eltern der beiden Cousins bei demselben Flugzeugunglück ums Leben gekommen sind, aber keiner weiß etwas Genaues darüber. Jetzt leben sie mit einer älteren Frau zusammen, vielleicht ihrer Großmutter. Eine sehr scheue Frau, es heißt, sie sei von Geburt an taub.«
Ich mache den Mund auf und versuche, etwas zu erwidern, aber er fährt mir dazwischen. »Bitte lass mich ausreden. Das ist ja erst der Anfang der Merkwürdigkeiten. Ofelia ist Waise, über ihre Vergangenheit weiß man wenig bis gar nichts. Anscheinend hat sie ein reicher Unbekannter aus einem Waisenhaus in Prag oder noch weiter im Osten adoptiert. Jetzt lebt sie in einer Renaissancevilla am Waldrand und hat als einzige Gesellschaft ein Haushälterehepaar, die beiden sind so grimmig und ihr so treu ergeben wie zwei Rottweiler. Und stell dir vor, was mit ihrem gesetzlichen Vormund ist? Den hat niemand je zu Gesicht bekommen. Er bezahlt bloß das Schulgeld und den Lohn für das Personal. Kommt dir das nicht zumindest merkwürdig vor?«
Einen Moment lang bin ich sprachlos. Ich fühle mich überrollt. Mikael, Vincent und Ofelia, alle drei Waisen.
»Woher weißt du das alles?«
»Wenn ich etwas herausbekommen möchte, kann ich sehr hartnäckig sein, das solltest du allmählich wissen. Edoardos Tod hat mich zum Nachdenken gebracht. Von einem Moment auf den anderen können wir die Menschen verlieren, die wir lieben, und ich kann nicht zulassen, dass dir etwas Schlimmes passiert.«
»Du hast in ihrem Leben herumgeschnüffelt, du hast sie beschattet … Wie konntest du nur?«
»Das habe ich für dich getan, wieso willst du das nicht einsehen? Was muss ich denn noch tun, um dir zu beweisen, wie wichtig du mir bist?« In seinen Augen brennt ein Feuer, das ich vorher noch nie gesehen habe.
Er streicht mir zärtlich übers Gesicht, und ich sehe ihn an, immer noch völlig verwirrt von seinen Worten. Dann beugt er sich herunter und versucht, mich zu küssen. Sobald seine Lippen meine berühren, reiße ich mich aus meiner Lähmung, und mein Zorn entlädt sich mit Wucht.
»Nein!«, schreie ich. Ich stoße ihn zurück und flüchte in Richtung Toiletten.
»Mikael Lancieri verbirgt ein Geheimnis und ich werde es dir beweisen!«, schreit er mir hinterher.
Ich möchte die drängenden Stimmen in meinem Kopf zum Schweigen bringen. Er verbirgt ein Geheimnis, alle sind Waisen, die Eltern sind bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen, keiner hat ihn je zu Gesicht bekommen, Geheimnis … Geheimnis … Geheimnis.
Es reicht! Ich spritze mir Wasser ins Gesicht und wasche mir den Lippenstift und die Spuren des unerwarteten Kusses ab. Ich versuche, meine Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen, doch die Emotionen sind zu stark, am liebsten würde ich losschreien.
Stattdessen bleibe ich vor dem Spiegel stehen, aus dem mir mein verletztes Ich entgegenblickt. Spuren von verschmiertem Rot um den Mund, feucht schimmernde Augen.
Geheimnis … Geheimnis … Geheimnis.
Umbertos Worte schwirren wie ein Schwarm dunkler Falter durch meinen Kopf. Das unvermittelte, verzweifelte Geständnis seiner Liebe. Ich habe sofort wieder Caterina vor Augen. Und dann schieben sich Mikael, Vincent und Ofelia davor. Alle drei sind Vollwaisen. Kommt dir das nicht zumindest merkwürdig vor? Ich muss mich beruhigen. Ich werde mit Mikael sprechen, er braucht mich nur anzusehen, und schon geht es mir wieder gut.
Die Toilettentür fliegt auf. Drei Mädchen im Glitterlook bauen sich vor mir auf. Lavinia sieht mich herausfordernd an. »Was macht denn so ein Unschuldsengel wie du noch so spät abends unterwegs?«
Das ertrage ich nicht, nicht ausgerechnet jetzt. Ich versuche, mich an
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