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Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman

Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman

Titel: Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Baraldi
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ihnen vorbei zum Ausgang zu drängen, aber Sofia versetzt mir einen Stoß und schubst mich damit zu Lavinia hinüber. »Mikael spielt doch bloß mit dir, aber mit mir ist es ihm ernst.« Ihr süßliches Parfüm trifft mich wie ein Schlag ins Gesicht. Maiglöckchen und Vanille. »Schau doch, was er gestern mit mir angestellt hat«, sagt sie. Sie schiebt den Kragen ihrer Tüllbluse herunter und zeigt mir einen Knutschfleck. Mit einem hämischen Lachen gibt sie mir den Weg frei. »Die Ärmste, das hat sie aber getroffen! Tja, das ist eben nichts für Kinder«, legt sie noch nach.
    Ich renne los, die stickige Luft im Saal raubt mir den Atem. Schweiß, Adrenalin, sich überlagernde Atemausdünstungen, der künstliche Geruch von Deos und das süße Aroma der Cocktails. Menschen versperren mir den Fluchtweg, mit gesenktem Kopf dränge ich mich vorwärts. Ich muss hier raus, ich bekomme keine Luft mehr! Tränen brennen in meinen Augen.
    Ein Ellenbogen trifft mich in den Magen. »Entschuldigung, lasst mich bitte durch!«
    »Pass doch auf!«, schreit ein Mädchen.
    Ein letzter Blick auf die Bühne. Your tears like glittering snowflakes, I feel your sorrow in my veins , deine Tränen glitzern wie Schneeflocken, ich spüre deinen Schmerz in meinen Adern.
    Wütend schaue ich noch einmal zu Mikael. Dann rette ich mich verletzt hinaus in die Nacht. Endlich kann ich frei durchatmen. Ich halte einen Schrei zurück. Draußen schüttet es wie aus Eimern. Meine Tränen vermischen sich mit denen des Himmels. Ein Blitz zerreißt das schwarze Tuch, das diese mondlose Nacht einhüllt. Ich möchte verschwinden, und zwar sofort! In diesem Sturzregen. Ich möchte verschwinden und keinen Schmerz mehr spüren.

49
    S trömender Regen. Ich habe mir die Kapuze meines Sweatshirts tief in die Stirn gezogen und fühle mich wie ein triefnasser, in Tränen aufgelöster Streuner. Ich sehe wieder Lavinias verächtliche Augen vor mir, als sie mir ihren Knutschfleck am Hals gezeigt hat. »Mikael spielt doch bloß mit dir, aber mit mir ist es ihm ernst.« Und ich sehe auch Umberto wieder vor mir, der zwar wütend war, aber auch eindeutig besorgt und ehrlich verliebt. Seine Worte haben Fragen in mir aufgeworfen, auf die ich keine Antwort finden will. Zweifel und Angst quälen mich: Ich habe keine Ahnung, was ich glauben soll, wem ich glauben soll. Und dann der letzte Blick von Mikael, der Refrain, den er mit seiner warmen, dunklen Stimme gesungen hat.
    Your tears like glittering snowflakes, I feel your sorrow in my veins.
    Ich zittere, aber nicht nur der Kälte wegen. Meine Gefühle entladen sich stoßweise, wie die Blitze, die immer wieder den Himmel durchzucken. Der Donner dringt bis in die hintersten Winkel meines Bewusstseins.
    Ich laufe schneller. Dabei suche ich keinen Schutz unter den Fenstersimsen oder Vordächern der Häuser, ich lasse zu, dass der Regen mich mit all seiner Wucht trifft, damit er meine Schmerzen mit sich fortträgt. Bald weicht die enge Altstadt von Siena einer Straße, die von den Schatten mächtiger Bäume gesäumt wird.
    Ich habe Angst. Ich bin es nicht gewohnt, nachts allein unterwegs zu sein, wo nur der schwache Schein der Straßenlaternen und der Widerschein der Blitze am Himmel meinen Weg beleuchten.
    Die Straße ist eine schwarze Asphaltschlange. Meine Kleidung klebt schwer an mir, ich klappere mit den Zähnen. Ich glaube, dass ich mich verirrt habe, mitten in dieser großen Leere aus verworrenen Erinnerungen.
    Doch da erkenne ich die scharfe Kurve, die zum San-Carlo-Gymnasium hinaufführt. Na endlich! Zur Schule sind es jetzt nur noch ungefähr hundert Meter, ich bin also in etwa einer Viertelstunde zu Hause. Und dann werde ich mich abtrocknen, etwas Heißes trinken, und vielleicht kann ich danach vor Erschöpfung einschlafen. Alles andere verschiebe ich auf morgen.
    Für heute habe ich genug gesehen und gehört.
    Heute Nacht wirkt der Park, der das San Carlo umgibt, als stamme er direkt aus einem Albtraum. Die gespenstischen Silhouetten der Bäume, die undurchdringliche Schwärze, die die Umrisse des Gebäudes verschluckt, und ein kleines helles Licht.
    Da brennt Licht in der Bibliothek! Ich bin mir ganz sicher.
    Wer kann das um diese Uhrzeit sein?
    »Edoardo …«, flüstere ich.
    Trotz Müdigkeit und Kälte ist mein einziger Gedanke, dass ich hier möglicherweise Antworten auf die bohrenden Fragen um seinen rätselhaften Tod finden könnte. Ich habe es ihm versprochen.
    Ich schaue mich um. Keine Menschenseele ist zu

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