Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman
ich muss Ihnen wohl ein Plus geben.« Er gönnt mir beinahe so etwas wie ein Lächeln. Vielleicht hasst er mich ja doch nicht so sehr!
Für diesen kleinen Sieg muss ich dann allerdings büßen, als ich die Schule verlasse.
Umberto kommt auf mich zu, sein Gesicht ist angespannt, und seine Augen glühen. Ich gehe schneller, denn nach unserem Streit von Samstagnacht habe ich wirklich keine Lust mehr, mich mit ihm auseinanderzusetzen.
»Scarlett!«, ruft er mir hinterher. Ich weiß, wie hartnäckig er ist. Es wird nichts nützen, mich taub zu stellen.
Ich verwandele mich wieder in einen Chihuahua, dem man den Knochen weggenommen hat, noch so eine Nummer, die ich unglaublich gut draufhabe. »Wenn du mir jetzt zum hundertsten Mal sagen willst, ich soll Mikael vergessen, dann vergiss du es lieber!! Ich habe nicht die leiseste Absicht!«
Er zuckt nur mit den Schultern und verschwindet ohne ein weiteres Wort. Diese Runde geht an den Chihuahua Scarlett!
Ich gehe zu Mikael, der neben seinem Motorrad steht. Er reicht mir den Helm und lacht laut los, als er merkt, dass ich es auch dieses Mal nicht schaffe, ihn aus eigener Kraft zu schließen.
Vincent tut so, als wäre ich nicht da, und wendet sich an Mikael: »Wir sehen uns bei der Probe.«
Dann fährt er los und lässt mich eine Staubwolke schlucken.
Ofelia rollt auf ihrer Maschine neben uns. »Heute Nachmittag probt die Band bei mir zu Hause. Möchtest du vorbeikommen?«
»Klar, vielen Dank!« Ich habe den Satz noch nicht beendet, da ist sie schon verschwunden. Verblüfft sehe ich Mikael an: »Ich liebe dieses Mädchen! Ich fass es nicht, ich werde bei einer Probe der Dead Stones dabei sein! Ich steh ja auf den Bassisten, aber sag ihm das bloß nicht, sonst steigt es ihm noch zu Kopf.«
»Ich hab mir sagen lassen, der soll gar nicht so toll sein …«, meint Mikael grinsend.
59
I ch trete schnell in die Pedale. Eine letzte anstrengende Steigung, und ich stehe vor einem riesigen schmiedeeisernen Tor. VILLA MONTEBELLO steht auf einem Metallschild. Ich klingele und ein paar Sekunden später öffnet sich das Eisentor. Ich schiebe das Fahrrad über den mit Kies ausgestreuten Hof, der von einem Park mit einem dichten, jahrhundertealten Baumbestand umgeben ist, bis zu einer wunderschönen, wenngleich ein wenig heruntergekommen wirkenden Jugendstilvilla. Eine lange mit Efeu überwucherte Freitreppe führt zum Eingang hinauf. An der Tür erwartet mich ein älterer Mann in blauer Livree.
»Guten Abend«, sagt er zu mir.
»Hallo … Ich möchte zu Ofelia«, antworte ich schüchtern.
»Sie erwartet Sie schon. Ich bringe Sie hin.« Er begleitet mich zur Rückseite des Hauses, wo ein paar Stufen nach unten in ein Kellergeschoss führen.
Eigentlich hätte ich erwartet, Musik zu hören. Stattdessen sind nur erregte Stimmen zu vernehmen. »Ich begreife nicht, was du dir dabei gedacht hast! Eine Fremde hierher einzuladen! Was zum Henker ist denn bloß mit euch allen los?« Das ist Vincent. Die Enttäuschung über seine Freundin scheint genauso groß zu sein wie sein Misstrauen mir gegenüber.
»Sie ist anders«, sagt Ofelia.
»Na, jedenfalls ist eure Freundin jetzt da.« Hätte Vincent mich nicht angekündigt, hätte ich mich wahrscheinlich vor Verlegenheit wieder verdrückt. Wo ich auch hinkomme, scheine ich eine Menge Durcheinander zu verursachen.
»Hallo«, sage ich, setze mich in eine Ecke und hoffe, dass sie meine Anwesenheit gleich wieder vergessen.
»Hallo, Scarlett!« Mikael begrüßt mich mit einem strahlenden Lächeln und küsst mich auf die Wange. Ich erröte.
Dagon sitzt am Schlagzeug, mit der unvermeidlichen verkehrt herum aufgesetzten Kappe auf den wasserstoffblonden Haaren, die er zu zwei Wikingerzöpfen zusammengebunden hat.
Ofelia setzt sich neben mich, sie hält einen matt glänzenden Instrumentenkoffer in den Händen.
»Das Intro von dem neuen Song überzeugt mich nicht. Ich würde die Basssequenz einen Halbton höher setzen«, sagt Mikael.
»Ich finde es genau richtig so, wie es ist.«
»Ist das dein letztes Wort, Vincent?«
»Ich finde Mikaels Vorschlag gut«, mischt sich Dagon ein. »Mit seiner Änderung würde man mit mehr Drive zum Chorus kommen.«
»Aber ich bin der Sänger. In letzter Zeit habe ich ein bisschen zu oft euren Forderungen nachgeben müssen.«
Die Spannung in der Luft ist beinahe mit Händen greifbar. Ihre Unruhe steckt mich an. Ich bewege die Beine, um etwas von dieser Nervosität abzubauen, ich kann einfach nicht still
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