Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman
ich sie instinktiv zurück. Die Oberfläche ist glühend heiß!
»Wie kannst du ihn nur tragen? Das muss unerträglich sein, nimm ihn sofort ab!«, schreie ich mit Tränen in den Augen. Ich versuche den Anhänger zu packen, um ihn abzureißen, aber er hält mich am Handgelenk fest.
»Das geht nicht, er erinnert mich jeden Moment daran, warum ich hier bin. Wenn er so heiß wird, dann nur, weil unser Feind in der Nähe ist. Ich muss ihn finden. Ich bin ein Wächter, und das ist meine Aufgabe.«
Ich bemerke Vincent und Ofelia. Wie immer gleiten sie lautlos dahin, obwohl sie über einen Teppich aus trockenen Blättern laufen.
Ofelia trägt eine Lederjacke und darunter ein Kleid im Lingeriestil aus glänzendem Stoff, dazu schwarze, mit kleinen weißen Totenschädeln bedruckte Strümpfe und die unvermeidlichen Springerstiefel. Ihre Augen leuchten violett, und um ihren Schwanenhals hat sie einen nachtblauen Schal gebunden.
»Wie geht es dir?«, fragt sie mich.
»Gut, würde ich sagen.« Eigentlich frage ich mich, wie es sein kann, dass ich bei all den Schlägen, die ich abbekommen habe, nicht einen blauen Fleck habe.
Ich bemerke, dass Ofelia Mikael einen Blick zuwirft.
Vincent scheint von einem geradezu archaischen Hass erfüllt zu sein. Ich zucke fast zusammen, als er mit tiefer heiserer Stimme sagt: »Du hättest Mikael aufgeben sollen, als es noch nicht zu spät war.«
»Ich habe keine Angst.« Ich wende die Augen nicht ab. Erst die Pausenklingel beendet unser Blickduell.
58
I st Vincent wie du?«
»Je weniger du weißt, desto besser ist es für uns alle.«
Black schaut sich um und beschnuppert die vertrauten Gegenstände in der Abstellkammer.
Mikael ist wieder weit weg. Ich drehe ihm den Rücken zu und verlasse wortlos den Raum.
Mit gesenktem Blick laufe ich vorwärts und versuche, meine Wut herunterzuschlucken.
»Es ist nicht leicht für mich.« Mikael steht plötzlich vor mir, fast pralle ich mit ihm zusammen. »Die beiden Seiten meiner Natur, die in ewigem Widerstreit miteinander liegen, haben begonnen, einander zu bekämpfen, seit du da bist. Die menschliche möchte sich dir und all dem, was du verkörperst, hingeben …«
»Was verkörpere ich denn?«
»Die Liebe.« Seine Augen scheinen direkt in mein Herz zu sehen. Sie berühren die unaussprechlichsten Wünsche.
Ich gehe einen Schritt auf Mikael zu. Er legt mir die Hände auf die Schultern, und eine überwältigende Wärme durchdringt mich. Sein Mund nähert sich meinem, ich verliere mich in seinem Atem.
Kurz bevor sich unsere Lippen berühren, weicht er ruckartig zurück.
Er hebt lauernd den Kopf, als würde er etwas wittern, das ich nicht wahrnehmen kann. Wie ein Tier, das seinem archaischen Jagdinstinkt folgt.
»Sollten Sie nicht längst im Klassenzimmer sein, Castoldi?« Vanzis Stimme holt mich schlagartig in die Gegenwart zurück. Er steht auf dem Flur und mustert mich stirnrunzelnd.
»Ich war gerade auf dem Weg dahin«, sage ich leise.
Dabei kann ich mir den Gedanken nicht verkneifen, dass Mikael und ich uns vielleicht geküsst hätten, wenn er nicht gekommen wäre. Zum ersten Mal.
Ich folge dem Lehrer, schuldbewusst wie ein kleines Mädchen, das man mit beiden Händen im Marmeladentopf erwischt hat.
»Ich habe das verlorene Schäfchen heimgeholt.« Vanzis lapidarer Kommentar erregt allgemeine Heiterkeit. Ich beeile mich, zu meinem Platz zu kommen. Kaum habe ich mich hingesetzt, da überfällt mich Caterina schon, ohne auf den Menschenfresser zu achten, mit der schicksalhaften Frage: »Bist du jetzt etwa mit Mikael zusammen?«
Ich weiß wirklich nicht, was ich darauf antworten soll, deshalb begnüge ich mich mit einem Lächeln.
»Ich werde Ihnen jetzt ein paar Fragen stellen, Sie dürfen beim Antworten sitzen bleiben«, verkündet Vanzi, sobald er sein Pult erreicht hat. »Castoldi, erzählen Sie mir etwas über die wichtigsten Vertreter des Dolce stil nuovo .«
Ich räuspere mich. »Also … die wichtigsten Vertreter …«
Caterina reißt entsetzt die Augen auf. Oh nein! Noch ein Minus.
»… stammen alle aus der Toskana. Der bekannteste ist Dante Alighieri, aber auch Cavalcanti und Guinizelli hatten großen Einfluss, man könnte sie als Vorreiter der Bewegung bezeichnen. Ihr Adel, der mehr geistiger Art war, als dass er auf Standesprivilegien beruhte, schuf die Grundlagen für den frühen Humanismus …« Ich rede noch drei Minuten weiter, beinahe ohne Atem zu holen.
»Das genügt. Es tut mir leid, aber ich fürchte,
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