Scarpetta Factor
gerade in guter Stimmung war, ist er zufällig Hap begegnet, der ein Gewohnheitstier ist und immer dieselben Lokale besucht. Das ist nicht klug, weil man es anderen damit erleichtert, einen zu finden und sich mit einem anzufreunden.«
»Das sagtest du bereits. Aber mich beschäftigt weiterhin dieselbe Frage: Was, wenn Eric beschließt, mit jemandem zu reden, mit dem er nicht reden sollte? Zum Beispiel mit Haps Anwalt, denn er wird sich bestimmt einen nehmen, nachdem ich mit ihm fertig bin.«
»Eric mag mich. Außerdem gebe ich ihm Arbeit.«
»Prima. Du vertraust einer Hilfskraft.«
»Einem Kiffer mit Vorstrafenregister«, fügte Lucy hinzu. »Nicht glaubwürdig. Kein Mensch würde ihn ernst nehmen, wenn es hart auf hart kommt. Also brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ehrenwort.«
»Da muss ich dir widersprechen. Immerhin hast du einen berühmten Schauspieler ... «
»Der Typ ist nicht gerade Christian Bale, verdammt!«, protestierte Lucy. »Vor dieser Geschichte hattest du noch nie von Hap Judd gehört.«
»Aber jetzt weiß ich, wer er ist, und zwar ein Prominenter. Noch schlimmer ist, dass du ihn dazu ermutigt hast, gegen das Betäubungsmittelgesetz zu verstoßen, und zwar um einer Angestellten im öffentlichen Dienst zu helfen und Beweise gegen ihn zu sammeln.«
»Ich war nicht einmal in New York«, widersprach Lucy. »Am Montagabend, als Hap und meine Hilfskraft einen draufgemacht haben, waren wir beide in Vermont.«
»Deshalb wolltest du mich also während der Arbeitswoche entführen.«
»Dass du am 17. Dezember Geburtstag hast, war nicht meine Idee. Und dass wir eingeschneit sind, habe ich auch nicht zu verantworten.« Lucy fühlte sich wieder angegriffen. »Doch ja, ich fand es eine gute Idee, dass Eric durch verschiedene Kneipen zog, während wir nicht in der Stadt waren. Insbesondere du.«
»Du hast ihn nicht nur zu einer Kneipentour aufgefordert, sondern ihm illegale Drogen zur Verfügung gestellt.«
»Nein, Eric hat das Zeug selbst gekauft.«
»Woher hatte er das Geld?«, erkundigte sich Berger.
»Das haben wir doch schon zigmal durchgekaut. Du machst dich nur verrückt.«
»Die Verteidigung wird behaupten, er sei zu einer Straftat angestiftet worden und meine Behörde habe gegen die Standesregeln verstoßen.«
»Dann wirst du einwenden, Hap sei von vornherein gefährdet gewesen.«
»Willst du mir sagen, wie ich einen Prozess führen soll?« Berger lachte spöttisch auf. »Warum habe ich mir eigentlich die Mühe gemacht, Jura zu studieren? Wir wollen die Situation zusammenfassen und ehrlich sein. Du hast Hap einflüstern lassen, er könnte wegen einer Sache angeklagt werden, die wir ihm nie werden nachweisen können. Außerdem hast du ihn mehr oder weniger unter Drogen gesetzt und deinen Helfer und Informanten angewiesen, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, in dem es um das Park General Hospital ging. Verdacht hattest du deshalb geschöpft, weil du dich in Haps E-Mail-Account und sonst noch alles Mögliche eingehackt hattest. Vermutlich sogar in den E-Mail-Verkehr des verdammten Krankenhauses. O Gott!«
»An die Informationen bin ich auf legalem Weg gekommen.«
»Bitte verschone mich.«
»Außerdem müssen wir gar nichts beweisen«, fuhr Lucy fort. »Genau das ist doch der springende Punkt. Wir wollten Mr. Hollywood nur ordentlich einheizen, damit er das Richtige tut.«
»Ich weiß nicht, warum ich auf dich höre.« Berger umfasste Lucys Hand fester und drückte sie an sich.
»Er hätte als Ehrenmann reagieren und uns helfen können wie ein ganz normaler gesetzestreuer Bürger. Nur dass er das leider nicht ist«, erwiderte Lucy. »Die Suppe hat er sich selbst eingebrockt.«
12
Suchscheinwerfer streiften das Gewirr von Stahlträgern, die die George Washington Bridge stützten und wo sich ein Selbstmordkandidat an die Trossen klammerte. Er war beleibt und über sechzig. Der Wind peitschte um seine Hosenbeine, sodass im grellen Licht seine fischbauchweißen Knöchel zu sehen waren. Marino konnte den Blick nicht von der Live-Übertragung abwenden, die auf dem Flachbildschirm am anderen Ende des Raums flimmerte.
Er wünschte, die Kameras würden das Gesicht des Mannes besser zeigen, weil er versuchen wollte, dessen Ausdruck zu deuten. Dabei spielte es keine Rolle, dass er schon häufig Zeuge solcher Notfälle geworden war. Bei jedem Verzweifelten war es anders. Marino hatte beobachtet, wie Menschen starben, wie ihnen klar wurde, dass sie weiterleben würden, wie sie andere umbrachten
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