Scarpetta Factor
der Überwachungskameras und die Eintragungen im Eingangsbuch der Pathologie während der beiden Wochen, die Farrah Lacy im Krankenhaus gelegen hatte. Für ausführlichere Nachforschungen hatte die Zeit nicht gereicht, denn Berger hatte befürchtet, dass das Gespräch mit Hap Judd nicht mehr stattfinden würde, wenn sie es noch weiter hinausschob. Also handelte es sich um einen sogenannten Blitzangriff. Ihr war schon von Anfang an nicht ganz wohl dabei gewesen, und inzwischen wurde ihr richtiggehend mulmig. Sie bekam Zweifel, und zwar ernsthafte, die sie zwar schon länger plagten, jedoch inzwischen stark zugenommen hatten. Lucy leitete die Vernehmung. Sie hatte ein festes Ziel vor Augen, und es schien, als heiligte für sie der Zweck die Mittel.
»Ich will mir das nicht mehr ansehen«, protestierte Judd.
»Wir haben tonnenweise Material. Ich fange schon an zu schielen.« Lucy tippte auf ihr MacBook. »Alles heruntergeladen. Dinge, die Sie vermutlich längst vergessen haben. Ich bin nicht sicher, was die Polizei dazu sagen wird. Ms. Berger? Was wird die Polizei wohl damit machen?«
»Am meisten beschäftigen mich die Ereignisse, als das Opfer noch lebte«, erwiderte Berger, die keine andere Wahl hatte, als mitzuspielen. Jetzt gab es kein Zurück mehr. »Farrah lag vor ihrem Tod zwei Wochen lang im Krankenhaus.«
»Genau zwölf Tage«, verbesserte Lucy. »An lebenserhaltende Maschinen angeschlossen. Sie ist nicht mehr zu Bewusstsein gekommen. An fünf dieser Tage hatte Hap Dienst im Krankenhaus. Haben Sie je ihr Zimmer betreten, Hap? Haben Sie sich vielleicht bedient, während sie im Koma war?«
»Sie sind ja krank im Kopf!«
»Haben Sie es getan?«
»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich dieses Mädchen nicht kenne«, wandte er sich an Berger.
»Farrah Lacy«, wiederholte Berger den Namen. »Die neunzehnjährige Cheerleaderin, deren Foto Sie in den Nachrichten gesehen haben. Und in der Harlem News . Dasselbe Foto, das wir Ihnen gerade gezeigt haben.«
»Außerdem haben Sie dieses Foto an Ihre eigene E-Mail-Adresse geschickt«, fügte Lucy hinzu. »Lassen Sie mich raten. Sie erinnern sich nicht. Gut, dann helfe ich Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge. Sie haben sich das Foto gemailt, und zwar noch am selben Tag, als es im Internet in den Nachrichten erschien. Auch den Artikel über den Autounfall haben Sie an sich selbst geschickt. Ich finde das sehr interessant.«
Sie klickte das Foto an, sodass es auf dem Monitor zu sehen war. Farrah Lacy in ihrem Cheerleader-Kostüm. Hap Judd wandte den Blick ab.
»Ich weiß nichts von einem Autounfall«, widersprach er.
»Die Familie fuhr vom Marcus Garvey Memorial Park in Harlem nach Hause«, sagte Berger. »Ein sonniger Samstagnachmittag im Juli 2004. Ein Mann hat am Steuer telefoniert, auf der Lenox Avenue eine rote Ampel ignoriert und den Wagen seitlich gerammt.«
»Ich erinnere mich nicht«, wiederholte Judd.
»Farrah erlitt eine sogenannte geschlossene Kopfverletzung, also eine Verletzung des Gehirns ohne offene Wunde«, ergänzte Berger.
»Keine Ahnung. Ich weiß nur noch, dass sie im Krankenhaus war.«
»Richtig. Sie wissen, dass Farrah Patientin in demselben Krankenhaus war, in dem Sie gearbeitet haben. Sie lag, an lebenserhaltende Maschinen angeschlossen, auf der Intensivstation. Manchmal haben Sie den Patienten in der Intensivstation Blut abgenommen. Wissen Sie das auch nicht mehr?«, hakte Berger nach.
Er schwieg.
»Er war so geschickt darin, dass er sogar einem Stein hätte Blut abzapfen können«, fügte Lucy hinzu. »Das hat eine der Schwestern zu Marino gesagt.«
»Wer zum Teufel ist Marino?«
Lucy hätte ihn nicht erwähnen dürfen. Die Namen ihrer Ermittler oder anderer Mitarbeiter in einem Fall zu nennen stand allein Berger zu, nicht Lucy. Marino hatte mit einigen Angestellten des Krankenhauses telefoniert und war sehr taktvoll vorgegangen. Es war eine heikle Situation, denn Berger fand, dass man wegen der Identität des möglichen Angeklagten mit äußerster Sorgfalt vorgehen musste. Lucy hingegen schien sich in dieser Hinsicht keine Gedanken zu machen. Offenbar wollte sie Hap Judd vernichten und empfand für ihn vermutlich dasselbe wie für den Fluglotsen vorhin am Flugplatz und den Mann vom Bodenpersonal, den sie im Verwaltungsgebäude heruntergeputzt hatte. Berger hatte durch die Toilettentür jedes Wort mitgehört. Lucy wollte Blut sehen, vielleicht nicht nur Hap Judds Blut, sondern auch noch das einer Menge anderer Leute. Berger
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