Scarpetta Factor
hatte keine Erklärung dafür und wusste nicht mehr, was sie davon halten sollte.
»Wir haben einige Leute auf Ihren Fall angesetzt«, meinte sie zu Judd. »Lucy überprüft Sie und verschiedene andere Daten schon seit Tagen am Computer.«
Das stimmte nicht ganz. Lucy hatte vielleicht einen Tag damit verbracht, und zwar per Fernabfrage von Stowe aus. Sobald Marino sich mit dem Krankenhaus in Verbindung gesetzt hatte, war man dort sehr hilfsbereit gewesen und hatte anstandslos gewisse Informationen gemailt. Schließlich ging es um eine Personalfrage, und noch dazu um einen ehemaligen Mitarbeiter. Außerdem hatte Marino in der für ihn typischen Art angedeutet, die Sache würde umso taktvoller und diskreter aus der Welt geschafft werden können, je mehr sich das Krankenhaus an der Aufklärung beteiligte. Durchsuchungsbeschlüsse, richterliche Anordnungen und ein früherer Angestellter, der inzwischen Berühmtheit erlangt hatte, seien ein gefundenes Fressen für die Medien. Warum also einen Skandal riskieren, wenn es sich möglicherweise schließlich doch als falscher Alarm entpuppte? Es wäre ein Jammer, Farrah Lacys Familie noch einmal Leid zuzufügen. Außerdem seien die Menschen heutzutage schrecklich prozessfreudig, hatte Marino es ausgedrückt. Oder zumindest so ähnlich.
»Ich möchte Ihr Gedächtnis ein wenig auffrischen«, wandte Berger sich an Hap Judd. »In der Nacht des 6. Juli 2004 waren Sie im Zimmer neben dem von Farrah, um einer anderen Patientin Blut abzunehmen. Sie war schon ziemlich alt und hatte schlechte Venen. Deshalb haben Sie sich erboten, die Blutabnahme zu erledigen, weil Sie ja in der Lage waren, sogar einem Stein Blut abzuzapfen.«
»Ich kann Ihnen ihre Krankenakte zeigen«, ergänzte Lucy.
Wieder eine Übertreibung. Lucy hatte nichts dergleichen vorzuweisen. Das Krankenhaus hatte sich nämlich geweigert, Berger die vertraulichen Akten anderer Patienten auszuhändigen.
»Ich habe ein Video hier, in dem Sie mit Handschuhen und einem Rollwagen ihr Zimmer betreten.« Lucy kannte kein Pardon. »Auf meinen Videos sind sämtliche Zimmer des Park General Hospital zu sehen, in die Sie je einen Fuß gesetzt haben, einschließlich dem von Farrah.«
»Da war ich nie. Das ist alles erstunken und erlogen.« Judd war auf seinem Stuhl zusammengesackt.
»Sind Sie sicher, dass Sie in jener Nacht, als Sie Dienst auf der Intensivstation hatten, nicht in ihrem Zimmer waren?«, hakte Berger nach. »Eric haben Sie erzählt, Sie wären dort gewesen. Sie hätten gesagt, Farrah habe Sie neugierig gemacht, weil sie sehr hübsch war. Sie hätten Sie sich gern einmal nackt anschauen wollen.«
»Gottverdammte Lügen. Der Typ ist ein beschissener Lügner.«
»Er würde dasselbe unter Eid im Zeugenstand wiederholen«, fügte Berger hinzu.
»Das war doch nur Gerede. Und selbst wenn ich im Zimmer war, dann bloß, um einen Blick zu riskieren. Ich habe nichts verbrochen und niemandem wehgetan.«
»Bei Sexualverbrechen geht es um Macht«, verkündete Berger. »Vielleicht haben Sie sich ja mächtig gefühlt, als Sie ein hilfloses junges Mädchen vergewaltigt haben, das bewusstlos und nicht in der Lage war, Sie zu verraten. Es war bestimmt gut für Ihr Selbstbewusstsein, insbesondere deshalb, weil sie ein aufstrebender Schauspieler waren, der damals kaum Nebenrollen in Seifenopern ergattern konnte. Sicher war es nicht angenehm für Sie, kranken, übelgelaunten Menschen Spritzen in den Arm zu bohren, Fußböden zu wischen und von den Schwestern herumkommandiert zu werden. Jeder konnte Ihnen Befehle geben, weil Sie ganz unten in der Hierarchie standen.«
»Nein«, beharrte er kopfschüttelnd. »Ich habe es nicht getan. Ich habe nichts verbrochen.«
»Tja, offenbar stimmt das nicht, Hap«, sagte Berger. »Ein paar weitere Einzelheiten werden Ihnen sicher helfen, sich zu erinnern. Am 7. Juli kam in den Nachrichten, dass die Maschinen, die Farrah Lacy am Leben erhielten, abgestellt werden sollten. Genau um diese Uhrzeit erschienen Sie zur Arbeit, obwohl das Krankenhaus Sie nicht angefordert hatte. Sie waren nämlich tageweise beschäftigt und hatten nur Dienst, wenn Bedarf bestand. Doch am Nachmittag des 7. Juli 2004 hatte das Krankenhaus nicht angerufen. Trotzdem sind Sie gekommen und haben ohne Anweisung angefangen, die Pathologie zu putzen. Sie haben den Fußboden gewischt und die Edelstahlflächen poliert. Diese Information stammt von einem Wachmann, der noch dort tätig ist, und wurde auch zufällig auf einem Video
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