Scarpetta Factor
wissen schon, mit Hunderttausenden von Skeletten darin. Nur Recherche. Ich habe mir sogar überlegt, nach Knoxville zu fahren, damit ich einen Eindruck davon bekomme, wie so etwas ist.«
»Soll das heißen, Sie wollten sich verwesende Leichen anschauen?«
»Um eine Rolle richtig auszufüllen, muss man es selbst gesehen und gerochen haben. Nur dann kann man es spielen. Es interessiert mich, was passiert, nachdem eine Leiche begraben wurde oder lange irgendwo herumgelegen hat. Wie sie nach einiger Zeit aussieht. Außerdem bin ich Ihnen keine Erklärung schuldig. Ich muss Ihnen nicht erzählen, wie ein Schauspieler arbeitet oder wie meine verdammte Karriere läuft. Ich habe nichts verbrochen. Und wenn Sie meine E-Mails lesen, verletzen Sie meine Bürgerrechte.«
»Wenn ich mich recht entsinne, habe ich nie gesagt, dass wir Ihre E-Mails lesen.«
»Woher wissen Sie es sonst?«
»Wir suchen nach Daten«, erwiderte sie. Inzwischen schaute er ihr in die Augen oder ließ den Blick durch den Raum schweifen, anstatt sie von oben bis unten zu mustern. Das tat er nur in Lucys Gegenwart. »Sie haben sich einen Computer geliehen, der mit einem Server vernetzt ist, und etwas im Internet bestellt. Wirklich erstaunlich, welche Spuren man dabei hinterlässt. Wir wollen noch ein wenig über Eric reden«, meinte Berger.
»Scheißschwuchtel! «
»Hat er Ihnen gesagt, dass er schwul ist?«
»Er hat mich angebaggert, okay? Das war offensichtlich. Ausgefragt hat er mich und wollte alles über meine Vergangenheit wissen. Da habe ich ihm erzählt, ich hätte früher viele verschiedene Jobs gehabt, unter anderem eine Teilzeitstelle als Pfleger in einem Krankenhaus. Schwule wollen mir ständig an die Wäsche«, fügte er hinzu.
»Wer hat den Job im Krankenhaus zuerst aufs Tapet gebracht? Sie oder er?«
»Ich erinnere mich nicht mehr, wie wir darauf gekommen sind. Er wollte etwas über meine Karriere hören, darüber, wie ich angefangen habe. Da habe ich das Krankenhaus erwähnt und ihm geschildert, wie ich mich durchgeschlagen habe, während ich versucht habe, ein guter Schauspieler zu werden, damit ich auch davon leben kann. Ich habe auf der Venenstation ausgeholfen, Proben genommen und sogar in der Pathologie gejobbt. Fußböden gewischt, Leichen aus der Kühlkammer geholt und wieder zurückgebracht und so weiter.«
»Warum?« Lucy erschien mit einer Dose Pepsi light.
»Was meinen Sie mit warum ?« Judd drehte sich um. Seine Miene veränderte sich schlagartig. Er hasste Lucy und machte keinen Hehl daraus.
»Warum Sie solche miesen Jobs übernommen haben.« Lucy öffnete die Dose, stellte sie vor Berger hin und setzte sich.
»Ich habe nur einen High-School-Abschluss«, erwiderte er, ohne sie anzusehen.
»Weshalb haben Sie nicht als Model gearbeitet, während Sie versucht haben, sich als Schauspieler einen Namen zu machen?« Lucy verhielt sich wieder genauso beleidigend wie vorhin und stichelte.
Berger hörte nur mit halbem Ohr hin, weil ein erneuter Signalton ihres BlackBerry sie ablenkte. Verdammt, wer wollte sie um vier Uhr morgens erreichen? Vielleicht wieder Marino. Er war zwar zu beschäftigt, um hier zu erscheinen, störte sie aber bei der Arbeit. Doch möglicherweise war er es ja nicht. Sie griff nach dem BlackBerry. Unterdessen sprach Hap Judd weiter, richtete seine Antworten jedoch an sie. Berger beschloss, ihre Nachrichten abzufragen, und gab hinter vorgehaltener Hand ihr Passwort ein.
»Ich habe ein paarmal als Model gejobbt und auch sonst jede Arbeit angenommen, um Geld zu verdienen und Lebenserfahrung zu sammeln«, entgegnete er. »Ich bin mir für nichts zu schade und fürchte mich nur vor Leuten, die mich reinlegen wollen und Lügen über mich verbreiten.«
Die erste E-Mail, abgeschickt vor wenigen Minuten, stammte von Marino:
brauche durchsuchungsbeschluss sofort wg zwischenfall bei doc fakten kommen gleich per mail
»Mich ekelt es vor nichts«, fuhr Judd fort. »Ich gehöre zu den Leuten, die tun, was nötig ist. Bis jetzt ist mir im Leben nichts geschenkt worden.«
Marino wollte damit ausdrücken, dass er gerade einen Durchsuchungsbeschluss aufsetzte, den er Berger in wenigen Minuten mailen würde. Ihre Aufgabe war es dann, ihn auf juristische Genauigkeit und Sprachfehler zu überprüfen, einen Richter aufzutreiben, der rund um die Uhr Bereitschaft hatte, und zu ihm zu fahren, um das Papier unterschreiben zu lassen. Was wollte Marino durchsuchen, und warum war es so dringend? Was war los mit
Weitere Kostenlose Bücher