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Scarpetta Factor

Scarpetta Factor

Titel: Scarpetta Factor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Daniels Cornwell
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gewartet hatte, dass Scarpetta von CNN nach Hause kam. Er malte sich aus, wie sie widerstrebend neben Carley Crispin hergegangen und an einem in viele Kleidungsschichten und eine Decke gewickelten Mann auf einer Parkbank am Columbus Circle vorbeigekommen war. Die Sache mit dem Obdachlosen hatte Benton von Anfang an argwöhnisch gemacht, als Scarpetta ihn bei ihrem Gespräch mit Lobo in Marinos Auto erwähnt hatte. Der Urheber der Bombe hatte Scarpetta, Benton oder ihnen beiden schaden wollen und deshalb der Versuchung gewiss nicht widerstehen können, sie letzte Nacht zu beschatten.
    Sie oder Benton sollten verstümmelt werden. Es hätte sie beide treffen können, verletzt, entstellt, vielleicht nicht tot, sondern schlimmer als das. Sicher hatte Jean-Baptiste gewusst, dass Benton sich in New York aufhielt, letzte Nacht zu Hause gewesen war und darauf wartete, dass seine Frau von ihrem Live-Auftritt bei CNN zurückkehrte. Jean-Baptiste konnte alles in Erfahrung bringen, und bestimmt war ihm klar, wie viel Scarpetta und Benton einander bedeuteten. Schließlich spürte er, was ihm fehlte und was er niemals bekommen würde. Niemand verstand besser als Jean-Baptiste, was Einsamkeit war. Und wer das qualvolle Alleinsein kannte, hatte auch einen Begriff vom Gegenteil. Dunkelheit und Licht. Liebe und Hass. Schaffen und Zerstören. Alle Gegensätze waren eng miteinander verbunden. Benton musste ihn finden und ihm das Handwerk legen.
    Die erfolgversprechendste Methode war, sich an seine Schwachpunkte zu halten. Man ist immer nur so gut wie die Leute, mit denen man sich umgibt, lautete Bentons Wahlspruch. Um sich zu beruhigen, sagte er sich, dass Jean-Baptiste einen Fehler begangen hatte. Er hatte die falschen Helfer angeworben, kleine Ganoven, die weder über die nötige Disziplin noch über Ausbildung und Erfahrung verfügten. Und nun würde er für seine übereilten Entscheidungen, seine perversen Gelüste und seine Voreingenommenheit bezahlen. Sein krankes Gehirn würde ihm zum Verhängnis werden. Granny und Clyde würden ihn zu Fall bringen. Jean-Baptiste hätte sich nie zu etwas herablassen dürfen, was nach den Maßstäben der Chandonnes Kleinkriminalität war. Er hätte sich von unfähigen und labilen Menschen fernhalten sollen, die selbst Sklaven ihrer Schwächen und Eitelkeiten waren. Jean-Baptiste wäre gut beraten gewesen, einen großen Bogen um persönlichkeitsgestörte Freizeitverbrecher und Banken zu machen.
    Der Ablauf der Überfälle war stets der gleiche, so als hätte jemand eine Gebrauchsanweisung auswendig gelernt. Die betreffende Filiale war in der Vergangenheit bereits mehr als ein Mal überfallen worden und nicht mit einer kugelsicheren Abtrennung ausgestattet. Zeitpunkt war immer ein Freitag, und zwar zwischen neun und elf Uhr vormittags, wenn am wenigsten Betrieb herrschte und der Safe voller Bargeld war. Eine harmlos wirkende ältere Dame, dem FBI bis jetzt nur als »Granny« bekannt, kam herein. In ihrem unscheinbaren Kleid, den Tennisschuhen und mit einem Tuch oder Hut auf dem Kopf sah sie aus wie eine Sonntagsschullehrerin. Auf der Nase hatte sie eine getönte Brille mit altmodischem Gestell. Abhängig vom Wetter trug sie einen Mantel und Wollhandschuhe. Fand der Überfall an einem warmen Tag statt, waren es durchsichtige Einweghandschuhe aus Plastik, wie sie Verkäufer an der Lebensmitteltheke verwenden. Offenbar wollte sie keine Fingerabdrücke oder DNA-Spuren hinterlassen.
    Granny hatte stets eine Reisetasche bei sich, die sie öffnete, während sie sich dem Kassierer näherte. Dann griff sie in die Tasche und holte eine Waffe heraus – die forensische Bildbearbeitung hatte ergeben, dass es immer dieselbe war, und zwar eine Neun-Millimeter-Pistole mit kurzem Lauf. Ein Spielzeug. Die orangefarbene Spitze am Lauf, die ein Bundesgesetz zur Kennzeichnung von realistisch aussehenden Spielzeugwaffen vorschrieb, war entfernt worden. Die Frau schob dem Kassierer einen Zettel – ebenfalls stets derselbe – hin, auf dem Kippen Sie den Inhalt der Schubladen in die Tasche! Keine Farbpatronen! Sonst sind Sie tot! stand. Die Schrift war groß und ordentlich. Der kleine Zettel stammte von einem weißen Notizblock. Sie hielt die Tasche auf, woraufhin der Kassierer das Geld hineinstopfte. Anschließend machte Granny die Tasche wieder zu, hastete hinaus und stieg in ein Auto, das von ihrem Komplizen gefahren wurde. Dem Mann, den das FBI Clyde nannte. Jedes Mal handelte es sich um ein gestohlenes Fahrzeug, das

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