Scarpetta Factor
sicher nicht dort stattfinden würde, wo er hinging. Lucy würde sich an der Stelle Zutritt verschaffen, die er gerade verlassen hatte. Sie förderte ihr tragbares hydraulisches Spreizwerkzeug zutage, das zehntausend Pfund Druck auf anderthalb Quadratzentimeter ausüben konnte. Lucy zwängte die beiden Hälften der Schere in den Spalt links zwischen Garagentür und Wand und betätigte die Fußpumpe. Das Holz ächzte. Dann knallte es einige Male laut, als sich die eisernen Scharniere verbogen und brachen. Lucy nahm ihr Werkzeug, schlängelte sich durch die Lücke und zog die Tür hinter sich zu, damit man sie von der Straße aus nicht erkennen konnte. Dann verharrte sie lauschend in dem kühlen, dunklen Raum, um sich in der unteren Etage der Garage der Starrs zu orientieren. Hier würde ihr das Thermal-Fernrohr nicht weiterhelfen, denn es erkannte nur Wärmequellen. Lucy griff nach ihrer SureFire-Taschenlampe und schaltete sie an.
Die Alarmanlage der Villa war nicht aktiviert. Offenbar hatte die Person, die Bonnell und Berger hereingelassen hatte, sich die Mühe gespart. Vielleicht ist es ja Nastya gewesen , dachte Lucy. Sie war der Haushälterin bei ihrem letzten Besuch hier begegnet und hatte sie als nachlässige Frau mit übertriebenem Geltungsdrang in Erinnerung. Vermutlich hatte Hannah sie vor kurzem eingestellt. Es konnte auch sein, dass Bobby sie ausgesucht hatte. Jedenfalls fand Lucy es seltsam, dass Menschen wie Nastya plötzlich eine Rolle in Rupes Leben spielten. Sie passten nicht zu ihm, weshalb es sicher nicht seine Entscheidung gewesen war. Das wiederum führte Lucy zu der Frage, wie sein Leben tatsächlich geendet hatte. Sie hielt es nicht für möglich, jemanden mit Salmonellen zu vergiften, und ein Diagnosefehler war auch höchst unwahrscheinlich. Schließlich war es in Atlanta geschehen, einer Stadt, die für ihr gut ausgebautes Gesundheitswesen bekannt war. Ob er hatte sterben wollen, weil Hannah und Bobby sein Leben vereinnahmten und er geahnt hatte, was ihm blühte? Eine Zukunft ohne Macht und Einfluss, alt und den beiden auf Gedeih und Verderb ausgeliefert? Das war möglich. Menschen taten es immer wieder. Sie erkrankten an Krebs, wurden in Unfälle verwickelt und kürzten den Weg zum Unvermeidlichen ab.
Lucy stellte die Tasche ab, nahm die Glock aus dem Knöchelhalfter und leuchtete mit dem langen Lichtstrahl ihrer Taschenlampe die Umgebung ab. Das Licht glitt über weiß gestrichene Steinwände und Terrakottafliesen. Direkt neben der Garage befand sich eine Nische zum Waschen der Wagen. Wasser tropfte aus einem schlampig zusammengerollten Schlauch, auf dem Boden waren schmutzige Handtücher verstreut, und ein Plastikeimer lag umgekippt neben einigen Großbehältern mit Chlorox-Bleiche. Außerdem entdeckte Lucy Schuhabdrücke, jede Menge Reifenspuren und eine Schubkarre mit Schaufel, beides mit angetrocknetem Zement verkrustet.
Sie folgte den Reifenspuren auf dem Boden und stieß auf weitere Schuhabdrücke aller Größen mit unterschiedlichen Profilen und dazu auf jede Menge Staub. Vielleicht war ein Turnschuh dabei, möglicherweise auch ein Stiefel. Es waren mindestens zwei Personen gewesen, aller Wahrscheinlichkeit nach aber mehr. Sie lauschte, leuchtete alles ab, und da sie wusste, wie es früher in diesem Keller ausgesehen hatte, bemerkte sie jede Veränderung. Überall erkannte sie Anzeichen für Aktivitäten, die nichts mit der Pflege von Oldtimern zu tun hatten. Der starke Lichtstrahl traf eine Werkstatt mit Werkbänken, Elektrowerkzeugen, Zwingen, Kompressoren, Geräten zum Aufladen von Batterien, Wagenhebern, Öldosen und Reifen, alles staubig und durcheinander, als hätte jemand die Sachen achtlos beiseitegeschoben und seitdem nicht mehr benutzt.
Ein himmelweiter Unterschied zu damals, als man vom Boden hätte essen können, da die Garage – gemeinsam mit der Bibliothek – Rupes ganzer Stolz und seine Freude gewesen war. Die beiden Bereiche wurden durch eine hinter einem Schiffsgemälde verborgene Tür getrennt. Der Lichtstrahl glitt über dicke Staubschichten und Spinnweben zu der Hebebühne, die er hatte einbauen lassen, als Montagegruben in Autowerkstätten wegen der Gefahr von Kohlenmonoxidansammlungen bei laufendem Motor verboten worden waren. Früher hatte es hier keine kahle Matratze gegeben, wie sie jetzt an der Wand lehnte, beschmutzt mit großen braunen Flecken und Schmierern, die aussahen wie Blut. Lucy sah Haare, lange, dunkle und blonde, und glaubte einen Geruch
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