Scarpetta Factor
geschnitten und sogar dementsprechend gekennzeichnet. Auf der linken Socke steht ein L, auf der rechten ein R. Aber sie hatte sie verkehrt herum an, also die rechte Socke am linken Fuß und die linke am rechten.«
»Hat sie sie beim Anziehen vielleicht selbst verwechselt?« Dr. Edison schlüpfte in sein Sakko.
»Das wäre natürlich eine Möglichkeit. Doch da sie so großen Wert auf ihre Sportbekleidung legte, halte ich das eigentlich für ausgeschlossen. Außerdem will mir nicht in den Kopf, warum sie bei Regen und Kälte joggen gegangen ist, und zwar ohne Handschuhe, ohne etwas, um die Ohren warm zu halten, und ohne Jacke. Nur in einem Vliespulli. Laut Mrs. Darien lief Toni nur sehr ungern bei schlechtem Wetter. Auch für die ungewöhnliche Uhr an Tonis Handgelenk hatte sie keine Erklärung. Es handelt sich um eine auffällig große Digitaluhr aus schwarzem Plastik, auf deren Rückseite das Wort BioGraph eingraviert ist. Ob man damit Daten speichern kann?«
»Haben Sie die Uhr schon gegoogelt?« Dr. Edison stand auf.
»Ich habe sogar Lucy mit der Suche beauftragt. Sie wird sich weiter damit beschäftigen, wenn das DNA-Labor sie nicht mehr braucht. Bis jetzt konnten wir keine Uhr und kein Datenspeichergerät namens BioGraph entdecken. Hoffentlich weiß einer von Tonis Ärzten oder jemand aus ihrem Bekanntenkreis, was das für eine Uhr ist und warum sie sie trug.«
»Ist Ihnen klar, dass sich Ihre Teilzeitstelle allmählich in eine Vollzeitbeschäftigung verwandelt?« Er griff nach seinem Aktenkoffer und nahm den Mantel vom Haken an der Tür. »Ich glaube, Sie waren den ganzen Monat kein einziges Mal in Massachusetts.«
»Hier ging es ziemlich rund.« Sie erhob sich ebenfalls und fing an, ihre Sachen einzusammeln.
»Wer ist dort Ihr Lokführer?«
»Die Gleise werden bald nach Boston führen«, antwortete Scarpetta, während sie den Mantel anzog und mit Dr. Edison das Büro verließ. »Wieder das gleiche alte Lied, was ein Jammer ist. Meine nordöstliche Außenstelle in Watertown wird vermutlich im Sommer geschlossen. Als ob die Kollegen in Boston nicht ohnehin schon in Arbeit ersticken würden.«
»Und Benton fliegt hin und her.«
»Mit der Shuttle-Maschine«, erwiderte Scarpetta. »Manchmal nimmt Lucy ihn auch mit dem Hubschrauber mit. Er war häufig hier.«
»Nett von ihr, dass sie uns wegen der BioGraph-Uhr hilft. Denn offiziell könnten wir uns ihre Computerkenntnisse nicht leisten. Aber wenn das DNA-Labor damit fertig und Jaime Berger einverstanden ist und das geheimnisvolle Gerät irgendwelche Daten enthält, würde ich gern davon erfahren. Morgen Vormittag habe ich eine Besprechung im Rathaus. Im Plenarsaal mit dem Bürgermeister und allen möglichen anderen Leuten. Unsere Branche schadet dem Tourismus. Erst Hannah Starr. Jetzt Toni Darien. Sie können sich sicher vorstellen, was ich zu hören kriegen werde.«
»Vielleicht sollten Sie die Damen und Herren daran erinnern, dass sie selbst mit ihren ständigen Haushaltskürzungen dem Tourismus den Todesstoß versetzen, weil sie uns daran hindern, unsere Arbeit zu machen.«
»Als ich in den frühen Neunzigern hier anfing, wurden zehn Prozent aller Tötungsdelikte im Land hier in New York verübt«, sagte er auf dem Weg durch die Vorhalle. Aus dem Radio dudelte Elton John. »Allein zweitausenddreihundert Morde in meinem ersten Jahr. Im vergangenen Jahr waren es knapp fünfhundert, das heißt ein Rückgang um achtundsiebzig Prozent. Aber das interessiert niemanden. Die Leute sehen nur das letzte Sensationsverbrechen. Filene und ihre Musik. Soll ich ihr das Radio wegnehmen?«
»So grausam wären Sie nie«, erwiderte Scarpetta.
»Sie haben recht. Die Mitarbeiter hier haben es nicht leicht und auch nur wenig Grund zur Freude.«
Sie traten auf den Gehweg hinaus, wo ein kalter Wind wehte. Auf der First Avenue dröhnte der Autolärm. Es war mitten im Berufsverkehr, Taxis rasten hupend vorbei, und die Sirenen der Krankenwagen, die zum einige Häuserblocks entfernten Bellevue-Klinikum oder zur Universitätsklinik Langone Medical Center gleich nebenan fuhren, heulten laut. Es war schon nach fünf und stockdunkel. Scarpetta kramte ihr BlackBerry aus der Handtasche, denn ihr war eingefallen, dass sie ja Benton anrufen musste.
»Viel Glück heute Abend«, meinte Dr. Edison und tätschelte ihr den Arm. »Aber ich schaue mir die Sendung sowieso nicht an.«
Dodie Hodge besaß ein Buch der Magie. Es war schwarz eingebunden und mit gelben Sternen verziert, und
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