Scarpetta Factor
»Während Sie über den Dingen stehen. Was machen wir also?«
»Sollen wir uns etwa auf das Niveau der anderen herablassen?«
»Hoffentlich denken Sie nicht, dass ich das tue.«
»Wie schätzen Sie Ihre Karriere bei CNN ein?« Er griff nach einer Pfeife aus Bruyèreholz, die er in diesem Gebäude nicht mehr rauchen durfte.
»Ich betrachte es nicht als Karriere«, entgegnete sie, »sondern eher als Gelegenheit, Informationen auf eine Art und Weise zu verbreiten, wie ich sie in diesen Zeiten für notwendig halte.«
»Wenn man sie nicht schlagen kann, mischt man eben mit.«
»Falls Sie möchten, höre ich auf damit, Brian. Das habe ich Ihnen von Anfang an zugesichert. Ich würde diese Behörde niemals absichtlich in Misskredit bringen oder in irgendeiner Weise kompromittieren.«
»Wir brauchen das Thema nicht noch einmal durchzukauen«, sagte er. »Theoretisch teile ich Ihre Auffassung, Kay. Die Öffentlichkeit ist, was Strafrecht und Forensik betrifft, so schlecht informiert wie nie zuvor. Und ja, dieser Mangel an Wissen führt dazu, dass Tatorte kontaminiert werden, Prozesse scheitern und unsinnige Gesetze verabschiedet werden, was den Steuerzahler eine Stange Geld kostet. Aber im Grunde meines Herzens glaube ich nicht, dass sich diese Probleme durch Fernsehsendungen lösen lassen. Zugegeben, das ist meine persönliche Meinung, und ich bin nun einmal ein wenig altmodisch. Deshalb fühle ich mich hin und wieder verpflichtet, Sie zu warnen, damit Sie nicht ins Fettnäpfchen treten. Zum Beispiel im Fall Hannah Starr.«
»Wie ich annehme, war das der wichtigste Tagesordnungspunkt der Dienstbesprechung, wenn es nicht um mich persönlich ging«, entgegnete Scarpetta.
»Ich schaue mir solche Sendungen nicht an.« Geistesabwesend spielte er mit seiner Pfeife herum. »Allerdings scheinen die Carley Crispins und Warner Agees auf dieser Welt Hannah Starr zu ihrem Jahrhundertprojekt gemacht zu haben und sehen sie als die nächste Caylee Anthony oder Anna Nicole Smith. Gott verhüte, dass Sie heute Abend im Fernsehen nach unserer ermordeten Joggerin gefragt werden.«
»Ich habe mit CNN vereinbart, dass ich nicht über laufende Ermittlungen spreche.«
»Weiß diese Crispin das auch? Sie gilt als Mensch, der sich nicht an die Regeln hält, und wird heute Abend vor laufender Kamera reden wie ein Wasserfall.«
»Man hat mich gebeten, das Mikroskopieren, insbesondere die Haaranalyse, zu erörtern«, antwortete Scarpetta.
»Das ist gut und wahrscheinlich auch hilfreich. Viele unserer Kollegen in den Labors sind nämlich besorgt, dass ihr Fachbereich ins Hintertreffen geraten könnte, da Öffentlichkeit und Politik inzwischen um das goldene Kalb DNA tanzen, mit der sich angeblich alle Probleme lösen lassen. Zum Teufel mit Fasern, Haaren, Toxikologie, Urkundenfälschung und sogar Fingerabdrücken!« Dr. Edison legte die Pfeife zurück in den schon seit Jahren unbenutzten Aschenbecher. »Ich nehme an, Toni Darien wurde eindeutig identifiziert. Die Polizei wird das sicher öffentlich bekanntgeben wollen.«
»Ich habe keine Einwände dagegen, dass ihr Name genannt wird, möchte jedoch auf keinen Fall, dass meine Untersuchungsergebnisse in Umlauf geraten. Ich habe nämlich den Verdacht, dass der Fundort inszeniert war. Sie wurde anderswo ermordet und war vielleicht gar nicht beim Joggen, als der Täter sie überwältigt hat.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Es gibt da eine Reihe von Gründen. Erstens wurde sie auf den Hinterkopf geschlagen. Es war ein einziger Schlag, der die Rückseite des linken Schläfenknochens getroffen hat.« Scarpetta berührte die entsprechende Stelle an ihrem Kopf, um es ihm zu zeigen. »Möglicherweise hat sie danach noch einige Stunden gelebt, worauf die große Menge an flüssiger und weicher Masse und die Einblutungen im Gewebe unterhalb der Kopfhaut hinweisen. Der Schal wurde ihr erst nach dem Tod um den Hals geschlungen.«
»Und was könnte die Waffe gewesen sein?«
»Wir haben es mit einer runden, sich verengenden Bruchstelle zu tun, durch die einige Knochenfragmente ins Gehirn gedrückt worden sind. Also muss der Gegenstand, mit dem sie geschlagen wurde, eine abgerundete Fläche von mindestens fünfzig Millimeter Durchmesser aufweisen.«
»Die Stelle wurde nicht durchstoßen, sondern zersplittert«, fügte er hinzu. »Deshalb kann es sich nicht um einen Hammer oder ein rundes, flaches Objekt handeln. Und bei einem Durchmesser von fünfzig Millimetern kommt ein Baseballschläger auch nicht in
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