Scarpetta Factor
es begleitete sie überallhin.
»Zaubersprüche, Rituale, Talismane. Sie handelt mit Dingen wie Korallenstücken, eisernen Nägeln und kleinen Seidenbeutelchen voller Tonkabohnen«, erklärte Benton Dr. Clark. »Im McLean hatten wir deshalb große Schwierigkeiten mit ihr. Andere Patienten, ja, sogar Krankenhausmitarbeiter haben an ihre angeblichen Zauberkräfte geglaubt, sie gegen Bezahlung um Rat gefragt und ihr ihre Glücksbringer abgekauft. Sie behauptet, hellseherische und andere übernatürliche Fähigkeiten zu besitzen, und wie Sie sich sicher denken können, sind problembeladene Menschen besonders empfänglich für diesen Hokuspokus.«
»Offenbar hatten ihre hellseherischen Fähigkeiten gerade Pause, als sie im Buchladen in Detroit die DVDs gestohlen hat. Doch vielleicht konnte sie ja auch voraussagen, dass man sie erwischen würde.« Dr. Clark kam der Wahrheit immer näher und hatte das Ziel fast erreicht.
»Wenn Sie sie fragen, hat sie nicht gestohlen. Die Videos gehören rechtmäßig ihr, weil Hap Judd ihr Neffe ist«, entgegnete Benton.
»Ist diese Verwandtschaft echt oder auch nur eine Erfindung? Eine Wahnvorstellung, wie Sie es ausgedrückt haben?«
»Wir wissen nicht, ob sie mit ihm verwandt ist«, antwortete Benton.
»Aber das müsste doch leicht herauszufinden sein«, gab Dr. Clark zurück.
»Ich habe heute Vormittag seine Agentin in L. A. angerufen«, gestand Benton. Er war nicht sicher, warum er so offen war, hatte jedoch geahnt, dass es dazu kommen würde.
Dr. Clark unternahm nichts, um das Schweigen zu füllen, und musterte Benton forschend.
»Die Agentin hat es weder bestätigt noch abgestritten und meinte, sie sei nicht befugt, Auskünfte über Hap Judds Privatleben zu erteilen«, fuhr Benton fort. Wieder stieg eine Welle der Wut in ihm noch, nur dass sie diesmal größer war als die vorherige. »Dann fragte sie mich, warum ich Erkundigungen über eine Person namens Dodie Hodge einzöge. Ihre Ausdrucksweise hat in mir den Verdacht geweckt, dass sie ganz genau wusste, von wem ich redete, obwohl sie es weiter abstritt. Natürlich hatte ich nicht die Möglichkeit, ihr ausführlich zu antworten, und sagte nur, ich hätte eine Information erhalten, die ich überprüfen müsse.«
»Sie haben ihr also nicht verraten, wer Sie sind und warum Sie sich für diese Frau interessieren.«
Bentons Schweigen sprach Bände. Nathan Clark kannte ihn sehr gut, sie waren Freunde. Vielleicht war er sogar Bentons einziger Freund und dazu der einzige Mensch, der Zutritt zu seinen Sperrgebieten hatte. Abgesehen von Scarpetta natürlich, doch auch sie hatte ihre Grenzen und mied Themen, vor denen sie sich fürchtete. Und das hier gehörte zu den Dingen, die ihr die meiste Angst machten. Dr. Clark stand kurz davor, Benton die Wahrheit zu entlocken, und dieser war bereit, es geschehen zu lassen. Es musste sein.
»Das ist das Problem, wenn man früher beim FBI war, stimmt’s?«, meinte Dr. Clark. »Die Versuchung ist groß, unterzutauchen und sich auf jede erdenkliche Weise Informationen zu beschaffen, selbst wenn man schon seit Jahren Zivilist ist.«
»Vermutlich hat sie mich für einen Journalisten gehalten.«
»Haben Sie sich denn als einer ausgegeben?«
Keine Antwort.
»Anstatt zu sagen, wer Sie sind, von wo aus sie anrufen und warum. Das wäre nämlich ein Verstoß gegen die Standesordnung«, fuhr Dr. Clark fort.
»Ja, das wäre es.«
»Betrachten wir es einmal als lässliche Sünde.«
Benton schwieg.
»Ich denke, wir müssen Ihre Zeit beim FBI ausführlich erörtern«, sagte Dr. Clark. »Es ist eine Weile her, dass wir Ihre Jahre im Zeugenschutzprogramm diskutiert haben, als Kay glaubte, das Verbrecherkartell der Familie Chandonne habe Sie ermordet. Es war die schlimmste Zeit in Ihrem Leben, denn Sie mussten sich verstecken und haben schreckliche Dinge durchgemacht, wie die meisten Menschen sie sich vermutlich gar nicht vorstellen können. Vielleicht sollten wir beide Ihren Gefühlen, was Ihre Vergangenheit beim FBI betrifft, auf den Grund gehen. Möglicherweise ist es ja noch zu früh, um von Vergangenheit zu sprechen.«
»Es ist sehr lange her. In einem anderen Leben. In einer anderen Behörde.« Benton war zwiegespalten, ob er darüber reden wollte, und ließ deshalb zu, dass Dr. Clark ihn weiter in die Zange nahm. »Aber wahrscheinlich stimmt der alte Spruch. Einmal Cop, immer Cop.«
»Ja, den kenne ich. Allerdings wage ich die Behauptung, dass es hier um mehr als nur um Sprüche geht. Sie
Weitere Kostenlose Bücher