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Scarpetta Factor

Scarpetta Factor

Titel: Scarpetta Factor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Daniels Cornwell
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verharrte, die Tasche über der Schulter, an der Tür. Er erinnerte Benton an ein Gemälde von Norman Rockwell, das einen gebrechlichen alten Psychiater darstellte.
    »Haben Sie Gnade mit McEnroe.« Benton fing an, seine Sachen zusammenzupacken.
    »Die Ballmaschine ist auf die langsamste Geschwindigkeit eingestellt und gewinnt trotzdem immer. Ich fürchte, mit meiner Tenniskarriere ist es vorbei. Letzte Woche stand ich neben Billie Jean King auf dem Platz, bin hingefallen und war von oben bis unten mit roter Asche bedeckt. Ich habe die Bälle mit einer Schlinge aufgehoben und bin über das verdammte Ding gestolpert. Und da war sie, beugte sich über mich und wollte wissen, ob ich mich verletzt hätte. Ein schöner Weg, eine Heldin kennenzulernen. Passen Sie auf sich auf, Benton. Und richten Sie Kay liebe Grüße aus.«
    Benton überlegte, ob er die singende Karte von Dodie mitnehmen sollte, und steckte sie schließlich in seinen Aktenkoffer. Er war nicht sicher, warum. Obwohl er sie Scarpetta nicht zeigen konnte, wollte er sie auch nicht hier zurücklassen. Was, wenn es noch einen Zwischenfall gab? Nein, es würde überhaupt nichts geschehen. Er war einfach nur überängstlich und angespannt und wurde von den Geistern der Vergangenheit gejagt. Alles war in bester Ordnung. Benton schloss die Bürotür ab. Er ging schnell, als habe er es eilig. Es gab zwar keinen Grund, sich zu fürchten, aber ihm war dennoch mulmig, ein Gefühl, das ihn schon seit einiger Zeit verfolgte. Es war eine unheilvolle Vorahnung, und seine Seele war so wund, dass er sie sich mit blauen Flecken übersät vorstellte. Es handelt sich um erinnerte Emotionen, nicht um reale , sagte er sich und hörte im Kopf seine eigene Stimme. Es war schon viele Jahre her. Damals war damals, und jetzt bestand kein Grund zur Sorge. Die Türen seiner Kollegen waren geschlossen. Einige waren im Urlaub. Es war genau eine Woche vor Weihnachten.
    Benton steuerte auf den Aufzug zu. Der Eingang zum Gefängnistrakt befand sich genau gegenüber. Die üblichen Geräusche hallten heraus. Laute Stimmen. »Aufmachen!«, rief jemand, denn der Wachmann im Kontrollraum ließ sich mit dem Öffnen der Schleuse stets Zeit. Benton erhaschte einen Blick auf einen Mann im grellorangefarbenen Overall des Gefängnisses auf Rikers Island. Er trug Hand- und Fußfesseln und wurde von zwei Polizisten flankiert. Vermutlich ein Simulant, der Beschwerden vortäuschte oder sich womöglich selbst verletzt hatte, um die Feiertage im Krankenhaus verbringen zu können. Als die Stahltüren sich geräuschvoll schlossen und Benton in den Aufzug stieg, musste er an Dodie Hodges denken. Er erinnerte sich an seine sechs Jahre im Untergrund, in denen er einsam und Gefangener einer erfundenen Identität gewesen war. Tom Haviland. Sechs Jahre als lebender Toter, und das war ganz allein Warner Agees Schuld. Benton verstand seine eigenen Gefühle nicht mehr und fand es abstoßend, dass er jemandem wehtun wollte. Er hatte zwar Erfahrung damit, Gewalt anzuwenden, denn im Dienst war ihm oft nichts anderes übriggeblieben. Allerdings hatte er noch nie in lüsternen Phantasien darüber geschwelgt.
    Er wünschte, Scarpetta hätte früher angerufen und sich nicht bei Dunkelheit in diesem Stadtteil allein auf den Weg gemacht, denn schließlich lebten hier überdurchschnittlich viele Obdachlose, Bettler, Drogensüchtige und ehemalige Psychiatriepatienten, Menschen, die immer wieder eingewiesen worden waren, bis das Gesundheitssystem nichts mehr mit ihnen anzufangen wusste. Und eines schönen Tages stießen sie vielleicht einen Pendler vom Bahnsteig vor eine einfahrende U-Bahn, fielen mit dem Messer über wildfremde Menschen her und brachten Tod und Zerstörung, weil Stimmen es ihnen befahlen und weil ihnen bis jetzt niemand zugehört hatte.
    Rasch setzte Benton seinen Weg den scheinbar endlosen Flur entlang fort. Vorbei an der Cafeteria und dem Geschenkeladen, wobei er sich durch einen steten Strom von Patienten, Besuchern und Krankenhausmitarbeitern in weißen Kitteln oder OP-Anzügen schlängeln musste. Die Flure des Klinikums Bellevue waren festlich geschmückt. Fröhliche Musik erklang, und die Weihnachtsdekoration funkelte, als sei es völlig alltäglich, krank, verletzt oder ein psychisch gestörter Straftäter zu sein.
    Scarpetta erwartete ihn an der gläsernen Eingangstür. Sie trug einen langen dunklen Mantel und schwarze Lederhandschuhe und hatte Benton noch nicht in der Menschenmenge bemerkt, während er

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