Scarpetta Factor
darum?«, erkundigte sich Marino. »Damit wir rauskriegen, was zum Teufel es ist.«
»Wir entschärfen nachts keine Bomben. Droiden, die auch im Umgang mit biologischen Kampfstoffen ausgebildet ist, ist unterwegs nach Rodman’s Neck. Sie sollte jeden Moment dort eintreffen, um das Paket vom TCV in einen Bombensicherheitskoffer umzuladen. Dann wird sie mit Hilfe von Laborgeräten bestimmen, ob die Möglichkeit einer chemischen, biologischen oder radioaktiven Verseuchung besteht, und feststellen, ob das Ding giftige Gase absondert. Wie ich schon sagte, haben die Geigerzähler nicht reagiert, und es gab auch keinerlei Hinweise auf weißes Pulver. Doch man kann nie sicher sein. Das Röhrchen, das wir auf dem Röntgenbild gesehen haben, könnte eine gefährliche Substanz enthalten. Das Paket wird in den Bombensicherheitskoffer eingeschlossen. Gleich morgen früh befassen wir uns damit und entschärfen es, um in Erfahrung zu bringen, womit wir es zu tun haben.«
»Wir beide müssen noch mal miteinander reden«, meinte Marino zu Lobo, als dieser aus dem Wagen stieg. »Wahrscheinlich werde ich die ganze Nacht im Real Time Crime Center verbringen und Erkundigungen über diese durchgeknallte Dodie, die Tätowierung und alles andere einziehen.«
»Gute Idee.« Lobo schloss die Autotür.
Scarpetta blickte ihm nach, während er auf einen dunkelblauen Geländewagen zuging. Als sie ihr Telefon aus der Jackentasche nehmen wollte, fiel ihr ein, dass es erstens gar nicht ihre Jacke war und dass sie zweitens ihr BlackBerry irgendwo vergessen hatte.
»Wir müssen dafür sorgen, dass Lucy es nicht in den Nachrichten hört oder eine Verlautbarung der Behörde für Katastrophenschutz liest«, sagte sie.
Die Behörde für Katastrophenschutz stellte ständig neue Meldungen ins Internet, die zugangsberechtigte Personen über mögliche Gefahren von fehlenden Gullydeckeln bis hin zu Tötungsdelikten aufklärten. Wenn Lucy erfuhr, dass das Bombenentschärfungskommando zum Central Park West geschickt worden war, würde sie sich nur unnötig Sorgen machen.
»Als ich zuletzt mit ihr gesprochen habe, waren sie noch in der Luft«, antwortete Marino. »Ich kann sie im Hubschrauber anrufen.«
»Das erledigen wir, wenn wir in der Wohnung sind.« Benton wollte raus aus dem Auto. Er brauchte Abstand von Marino.
»Ruf sie nicht im Hubschrauber an. Sonst wird sie vom Fliegen abgelenkt«, widersprach Scarpetta.
»Ich habe einen Vorschlag«, erwiderte Marino. »Warum geht ihr beide nicht rein und erholt euch von dem Schrecken, während ich versuche, die beiden zu erreichen? Berger muss ohnehin informiert werden.«
Scarpetta hatte geglaubt, dass wieder alles in Ordnung sei, bis Benton die Wohnungstür öffnete.
»Verdammt!«, rief sie aus, zerrte sich die Skijacke vom Leib und schleuderte sie auf einen Sessel. Vor Wut hätte sie am liebsten losgeschrien.
Die Polizei war sehr rücksichtsvoll gewesen. Der Parkettboden wies keinen einzigen schmutzigen Fußabdruck auf, und ihre Handtasche stand unberührt auf dem schmalen Tisch im Flur, wo sie sie nach ihrer Rückkehr von CNN hingestellt hatte. Doch die Millefiori-Skulptur, die von einem Glasbläsermeister auf der venezianischen Insel Murano vor ihren Augen angefertigt worden war, befand sich nicht am richtigen Platz, also nicht auf dem Couchtisch, sondern auf einem Beistelltisch mit Steinplatte. Scarpetta wies Benton darauf hin. Er schwieg, denn er wusste, wann man besser den Mund hielt – zum Beispiel in Momenten wie diesem.
»Es sind Fingerabdrücke drauf.« Scarpetta hielt die Skulptur ans Licht und zeigte ihm die mühelos zu erkennenden Rillen, Einbuchtungen, Spiralen und einen Bogen. Winzige Muster am Rand des bunten Glases. Hinweise auf ein Verbrechen.
»Ich mache sie wieder sauber«, erbot sich Benton, aber sie wollte sie ihm nicht geben.
»Jemand hat hier ohne Handschuhe gearbeitet.« Zornig wienerte sie mit einem Zipfel ihrer Bluse am Glas herum. »Sicher war es die Bombenexpertin. Bombenexperten tragen nämlich keine Handschuhe. Wie hieß sie noch mal? Ann. Sie hatte keine Handschuhe an und hat die Skulptur einfach hochgehoben und beiseitegeräumt.« Sie benahm sich, als wäre die Bombenexpertin Ann eine Einbrecherin. »Was haben sie in unserer Wohnung sonst noch angefasst?«
Benton war zu klug, um darauf zu antworten. Er hatte gelernt, wie er sich verhalten musste, wenn Scarpetta, was selten vorkam, so aufgebracht war. Sie glaubte, wieder den Geruch des Pakets wahrzunehmen. Dann
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