Scarpetta Factor
fragte sie nicht, was sie hatte und warum sie sich wie ein kleines Kind in der Dusche versteckte.
»Ich habe noch einmal überall nach deinem BlackBerry gesucht. Es ist nicht in der Wohnung«, stellte er fest.
»Hast du versucht, es anzurufen?«
»Ich wette, es liegt auf dem Boden des Wandschranks in der Maske von CNN, wo du, wenn ich mich recht entsinne, immer deinen Mantel aufhängst.«
»Lucy findet es schon, falls ich je wieder Gelegenheit habe, mit ihr zu sprechen.«
»Ich dachte, du hättest heute schon mit ihr telefoniert, als sie noch in Stowe war.« Auf diese Weise wollte er sie zur Vernunft bringen.
»Weil ich sie angerufen habe.« Scarpetta hatte jetzt aber keine Lust, vernünftig zu sein. »In letzter Zeit meldet sie sich kaum noch bei mir. Sie könnte mir doch wenigstens Bescheid geben, wenn sie von einem Schneesturm aufgehalten wurde und noch nicht gelandet ist.«
Benton betrachtete sie.
»Dann wird sie auch mein verdammtes Telefon aufspüren. Zumindest müsste sie, zum Teufel noch mal, dazu in der Lage sein. Schließlich war es ihre Idee, ein Ortungssystem in die Dinger einzubauen. Einen Empfänger in mein BlackBerry, in dein BlackBerry, in Jaimes BlackBerry, in Marinos BlackBerry und einen Chip in den Nacken ihrer Bulldogge, damit sie immer weiß, wo wir sind – oder, genauer ausgedrückt, wo sich unsere Telefone und ihr Hund befinden, und zwar mit einer Treffgenauigkeit von etwa drei Metern.«
Benton schwieg und beobachtete sie durch den Dampf. Sie war noch immer in der Dusche und trocknete sich ab, was wegen der feuchten Luft zwecklos war, weil sie nur zu schwitzen anfing.
»Es handelt sich um dieselbe Technik, die die Flugaufsichtsbehörde bei Landeanflügen mit dem Autopiloten einsetzen will.« Sie klang, als spräche eine Fremde aus ihr, eine Frau, die er weder kannte noch mochte. »Vielleicht kann man es auch bei Drohnen benutzen, scheißegal. Jedenfalls ist mein dämliches Telefon genau darüber im Bilde, wo es liegt, auch wenn ich keine Ahnung davon habe. Das herauszukriegen ist für Lucy ein Kinderspiel. Ich schicke ihr eine E-Mail. Vielleicht nimmt sie sich ja dann die Zeit, mein Telefon zu suchen.« Während sie sich die Haare frottierte, war sie den Tränen nah, ohne sagen zu können, warum. »Vielleicht ruft sie ja an, weil sie sich ein kleines bisschen Sorgen macht, jemand könnte mir eine Bombe hinterlassen haben.«
»Kay, bitte reg dich nicht so auf ...«
»Weißt du, wie sehr ich es hasse, wenn mir jemand verbietet, mich aufzuregen? Mein ganzes Leben habe ich damit verbracht, mich nicht aufzuregen, weil ich mich, verdammt noch mal, nicht aufregen durfte. Aber jetzt rege ich mich auf, und daran kann ich leider nichts ändern. Wenn ich etwas dagegen tun könnte, würde ich mich schließlich nicht aufregen, oder?« Ihre Stimme bebte.
Sie fühlte sich schwach, als ob sie eine Krankheit ausbrütete. Möglicherweise war ja eine Grippe im Anzug. Viele Mitarbeiter der Gerichtsmedizin hatte es schon erwischt, da offenbar irgendwelche Viren grassierten. Scarpetta schloss die Augen und lehnte sich an die nassen Kacheln, die allmählich abkühlten.
»Ich habe sie gebeten, mich vor dem Start in Vermont anzurufen.« Sie versuchte, sich zu beruhigen und die Trauer und den Zorn wegzuschieben, die sie zu überwältigen drohten. »Früher hat sie mich vor einem Start oder nach einer Landung immer angerufen. Oder einfach nur, um sich zu melden.«
»Du weißt nicht, ob sie angerufen hat, weil du dein Telefon verlegt hast. Sie hat es sicher getan.« Bentons Tonfall war beschwichtigend, und er gab sich Mühe, die Situation zu entschärfen, die sich immer mehr zuspitzte. »Wir wollen den Tag noch einmal Revue passieren lassen. Erinnerst du dich, ob du das Telefon außerhalb der Wohnung aus der Tasche genommen hast?«
»Nein.«
»Aber du bist sicher, dass es in deiner Manteltasche war, als du dich auf den Weg gemacht hast?«
»Im Moment bin ich mir überhaupt nicht mehr sicher.«
Sie wusste noch, dass sie während des Gesprächs mit Alex Bachta ihren Mantel auf einen der Schminkstühle gelegt hatte. Sie würde Alex eine E-Mail schicken und ihn bitten, jemanden damit zu beauftragen, es zu suchen. Dann sollte er es irgendwo einschließen, bis sie Zeit hatte, es zu holen. Scarpetta verabscheute dieses Telefon und war wütend über ihre eigene Nachlässigkeit. Es war ein so unfassbar sträflicher Leichtsinn, dass sie es selbst kaum glauben konnte. Das BlackBerry war nämlich nicht
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