Scarpetta Factor
passwortgeschützt. Aber das würde sie weder Benton noch Lucy verraten.
»Lucy findet es bestimmt«, meinte Benton. »Marino hat vorgeschlagen, du könntest nach Rodman’s Neck fahren, wenn du neugierig auf die Ergebnisse bist. Gleich morgen früh um sieben. Ich komme mit.«
Scarpetta wickelte sich in das Handtuch und trat auf die rutschfeste Bambusmatte. Benton trug nichts als eine Pyjamahose, war barfuß und saß mit dem Rücken zum Frisiertisch. Sie ärgerte sich über ihren eigenen Gefühlsaufruhr und wollte, dass er endlich aufhörte. Schließlich hatte Benton ihr nichts getan.
»Ich denke, wir sollten über alles im Bilde sein, was die Bombenentschärfer und die Leute in den Labors rausgekriegt haben. Mich interessiert, wer zum Teufel dieses Paket abgeschickt hat und was genau es enthält.« Benton beobachtete sie. Die Luft war noch immer warm und schwül.
»Ja, die Schachtel mit Keksen, die irgendeine reizende Patientin von dir mir überreichen wollte«, höhnte sie.
»Natürlich könnte es sich auch um batteriebetriebene Kekse und eine reagenzglasförmige Flasche mit Likör handeln, der zufällig wie ein Brandbeschleuniger riecht.«
»Und Marino möchte, dass du auch dabei bist? Nicht nur ich, sondern wir beide?« Sie kämmte sich die Haare. Doch der Spiegel über dem Waschbecken war so beschlagen, dass sie nichts sehen konnte.
»Was ist los, Kay?«
»Ich habe mich nur gefragt, ob Marino dich ausdrücklich eingeladen hat, mehr nicht.« Sie wischte den Spiegel mit einem Waschlappen ab.
»Was ist nur los mit dir?«
»Lass mich raten. Er hat dich nicht eingeladen. Und falls er es doch getan hat, hat er es nicht ernst gemeint.« Sie kämmte sich weiter und musterte ihr Spiegelbild. »Das würde mich nicht weiter wundern, wenn man bedenkt, wie du ihn heute während der Telefonkonferenz und später im Auto behandelt hast.«
»Wir wollen nicht über ihn reden.« Benton hob sein Glas. Bourbon auf Eis.
Scarpetta roch Maker’s Mark, was sie an einen Fall vor langer Zeit erinnerte. Ein Mann war in einem Flammenmeer umgekommen, als im brennenden Lagerhaus einer Destillerie Whiskyfässer explodiert waren.
»Ich war weder freundlich noch unfreundlich«, fügte Benton hinzu. »Sondern habe mich professionell verhalten. Warum bist du so schlechter Laune?«
»Warum?« , wiederholte sie, als traute sie ihren Ohren nicht. »Abgesehen von dem offensichtlichen Problem.«
»Weil ich den kalten Krieg satthabe, den du mit Marino führst. Streite es nicht ab. Du lässt keine Gelegenheit zu einem Seitenhieb aus.«
»Das ist nicht wahr.«
»Ich glaube, er hat das Kriegsbeil längst begraben und die alten Zeiten hinter sich gelassen. Offenbar ist er über die Sache hinweg. Ganz im Gegensatz zu dir. Und wenn du so mit ihm umspringst, wird er wütend und fühlt sich in die Enge getrieben.
Ich finde es eine bemerkenswerte Ironie des Schicksals, denn schließlich hatte er so viele Jahre lang Schwierigkeiten mit dir.«
»Genau genommen hatte er Schwierigkeiten mit dir .« Bentons Geduld ließ ebenso nach wie die Dampfwolken im Raum.
»Ich rede im Moment aber nicht von mir. Gut, wenn du es schon erwähnst, ja, er hatte große Schwierigkeiten mit mir. Aber das ist jetzt vorbei.«
»Zugegeben, er hat sich gebessert. Wir wollen hoffen, dass es auch so bleibt.« Benton spielte an seinem Glas herum, als wisse er nicht, was er damit anfangen sollte.
Im sich lichtenden Nebel konnte Scarpetta auf der Ablage aus Granit einen Erinnerungszettel ausmachen: Jaime am Freitagvormittag anrufen . Am Morgen würde sie als verspätetes Geburtstagsgeschenk eine Orchidee in Bergers Büro in One Hogan Place schicken. Vielleicht eine prächtige Princess Mikasa. Saphirblau war Bergers Lieblingsfarbe.
»Benton, wir sind verheiratet«, sagte Scarpetta. »Marino ist sich dieser Tatsache voll und ganz bewusst, und er hat sich damit abgefunden. Vermutlich war er sogar erleichtert. Seitdem ist er sichtlich zufriedener, hat eine feste Beziehung und führt ein neues Leben.«
Allerdings war sie sich, was Marinos feste Beziehung und sein neues Leben anging, nicht mehr so sicher. Nicht, nachdem sie vorhin in seinem Auto gespürt hatte, wie einsam er war. Sie stellte sich vor, wie er in der Garage des Notfalleinsatzkommandos in Harlem vorbeischaute, um einen Rettungshund zu besuchen.
»Er hat sich bewegt, und das solltest du auch«, fuhr sie fort. »Ich will, dass endlich Schluss damit ist. Hör auf, ganz gleich, wie viel Mühe es dich auch kostet.
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