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Scatterheart

Scatterheart

Titel: Scatterheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lili Wilkinson
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hätte zwei ganze Tage verpasst und es sei tatsächlich schon Sonntag. Die jungen Leute gingen lachend und schwatzend in Richtung Zentrum.
    Ein junger Mann wedelte mit einem Zeitungsausschnitt. »Beeilt euch!«, rief er seinen Freunden zu. »Sonst schmilzt uns der Frostmarkt noch weg!« Er warf das Papier übermütig in die Luft.
    Hannah hob es auf, sobald die anderen weitergegangen waren. Es war ein Ausschnitt aus dem
Public Advertiser
, einem Anzeigenblatt. Der Text war schlecht zu lesen, weil die Schrift von der Rückseite durchschimmerte, aber etwas konnte Hannah entziffern.
    Marktstand zu vermieten.
Derzeitiger Besitzer: Mr Frost.
Da seine Geschäfte jedoch nicht auf Dauer angelegt
sind, ist eine baldige Auflösung oder ein Bankrott
nicht auszuschließen. Die Liquidation der Firma
wird Mr Tau übertragen.
    Hannah wusste nicht, was das zu bedeuten hatte, folgte aber den Fußspuren der anderen im Schnee.
    Sie gingen durch die Oxford Street, an der Abbiegung zur High Holborn Road vorbei und bogen dann in die Farrington Street. Bald schlossen sich ihnen weitere junge Leute an. Gemeine, Bürger und auch Herrschaften vonStand, alle strebten der Blackfriars Bridge zu und lachten, als wäre es ein Feiertag.
    Bei der Brücke angelangt, blieben sie stehen und schauten wie gebannt in eine Richtung. Hannah konnte wegen der vielen Menschen nichts sehen und drängelte sich nach vorn, bis sie an die Stelle kam, wo Brücke und Fluss zusammentrafen. Dort verschlug es ihr den Atem.
    Die Themse war vollständig zugefroren. Wo sonst braunes Wasser mit weißen Schaumkronen vorüberrauschte, zog sich ein seltsames grauweißes Band mitten durch die Stadt. Das Wunderlichste aber waren die Händler, die auf dieser neuen Eisstraße ihre Waren feilboten. Dort, wo die Stufen zum Fluss hinabführten, war ein grob gezimmertes Schild aufgestellt worden:
Zur Frostland-Straße
.
    Mitten auf dem Fluss waren Stände und Zelte aufgebaut. Sie säumten einen Weg, der von der Blackfriars Bridge bis zu den Three Crane Stairs reichte. Und dort drängten sich die Menschen.
    Alles war von glitzernden Eisblumen überzuckert und die ganze Welt funkelte und flimmerte wie im Märchenland. Schlittschuhfahrer schossen auf dem Fluss hin und her und drehten anmutige Pirouetten. Andere stapften vorsichtig über die ausgelegten Jutebahnen, die das Ausrutschen verhindern sollten. Sie kauften Andenken und tranken dampfende Schokolade oder Portwein aus Zinnkrügen vor behelfsmäßigen Tavernen, die
Moskau
oder
Zur fröhlichen Eiszeit
hießen.
    Hannah ging die Treppe hinunter und betrat zaghaft die Eisfläche. Die Luft war von den Stimmen der Händler erfüllt, die lautstark ihre Waren anpriesen.
    »Ochsenmaul, schön fett und gut gebraten!«
    »Füße wieder wie neu, Hühneraugen ade!«
    »Innereien vom Schaf!«
    »Lachs aus Newcastle!«
    »Lebkuchen!«
    Der Duft von frisch gebackenen Fleischpasteten erinnerte Hannah daran, wie hungrig sie war. Vorsichtig ging sie zum nächstgelegenen Stand.
    »Schönen Nachmittag, Frollein!«, sagte der Pastetenverkäufer und zwinkerte ihr freundlich zu. War es wirklich schon Nachmittag? »Auch eine Pastete werfen? Schön heiß und richtig lecker!«
    Hannah sah ihn an und lächelte. »Entschuldigen Sie? Was meinen Sie mit ›werfen‹?«
    Der Verkäufer schmunzelte. »Sie geben mir einen Sechser. Ich werfe ihn hoch. Bei Zahl bekommen Sie die Pastete und ich das Geld. Bei Kopf behalten Sie das Geld und bekommen die Pastete noch dazu!«
    Hannah lachte und gab ihm eine Münze. Der Pastetenverkäufer warf sie hoch in die Luft. Sie funkelte in der Sonne und fiel wieder herab. Der Mann fing sie geschickt auf und klatschte sie auf seinen Handrücken. Er schüttelte den Kopf.
    »Zahl, Frollein. Die Münze bleibt hier.«
    Er fischte eine Pastete aus seinem tragbaren Ofen und schnitt fachmännisch ein Loch in den Deckel. Weißer Dampf schoss hervor. Der Verkäufer goss dicken, heißen Bratensaft in das Loch und wickelte alles in ein Stück Zeitungspapier. Als er Hannah die Pastete überreichte, zwinkerte er ihr wieder zu.
    Hannah entdeckte in der Menge einen rötlichen Schnauzbart. Sie verzog angeekelt das Gesicht. Es war Samuel Smith, der Pfandleiher.
    »Alles in Ordnung, Frollein?«, fragte der Pastetenverkäufer.
    »Ja«, sagte sie und tastete nach ihren Ohrringen. »Danke.« Sie drängte sich durch eine Menschenschlange, die am Glücksrad anstand. Auf der anderen Seite stieß sie auf einen Mann mit einem schwarzen Bart, der ein

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