Scatterheart
Blut und Geifer spritzten über die erregten Zuschauer. Hannah spürte die feuchte Wärme auf ihrer Wange und musste schlucken, um sich nicht zu übergeben.
Der Bär hatte den Kopf noch erhoben, da sprang der schwarze Hund ihn an und schlug in seine Kehle. Das ganze Theater erbebte von dem wilden und schrecklichen Schrei, den der Bär ausstieß.
Hannah hielt es nicht mehr aus. Sie sah zu den Sternen hinauf, aber sie waren verschwunden. Schwarze Wolken rasten schäumend über den Himmel, Nebelschwaden waberten über den zugefrorenen Fluss bis in das Theater hinein und verschluckten die Zuschauer und das Gemetzel in der Manege. Ein panisches Durcheinander brach aus, die Menschen sprangen auf und stürzten aus dem Theater.
Hannah hatte noch nie einen so dichten Nebel erlebt. Es war nicht der typische widerliche grünlich gelbe Dunst, der sonst über der Stadt hing. Dieser Nebel war pechschwarz und nahm ihr fast den Atem.
Das Jaulen des Bärs verstummte. Hannah drängte sich mit den anderen hinaus, fort von der erstickenden Dunkelheit und dem süßlichen Blutgeruch. Sie spürte die harte,rutschige Eisfläche unter ihren Füßen und merkte, dass sie aus dem Theater entkommen war. Um sie herum war es so dunkel, dass sie nicht einmal ihre Hand vor Augen sehen konnte. Sie wollte losrennen, rutschte aber aus und fiel hin.
Ein lautes Dröhnen war zu hören, das Eis unter ihr schwankte. Dann gab es einen ohrenbetäubenden Knall und die Leute um sie herum kreischten.
Die Fackeln des Frostmarkts waren nur noch winzige matte Pünktchen, als wären sie sehr weit entfernt.
Hannah spürte, wie sich das Eis unter ihr bewegte, wie es vibrierte und sich verschob. Eines der fernen Lichter kam auf sie zu und wurde größer und heller. Sie streckte den Arm danach aus und eine große, starke Hand packte sie. Die Laterne kam noch näher, so nah, dass ihre Augen schmerzten und sie die Hitze an der Wange spürte. Sie blickte in zwei Gesichter, die auf sie hinabsahen.
Das eine Gesicht trug eine Polizistenmütze. Das andere hatte einen rötlichen Schnauzbart.
»Das sind aber hübsche Ohrringe«, sagte der Polizist.
»Und das ist das Ende Ihrer Karriere, Frollein.«
Hannah sah mit angstvoll aufgerissenen Augen zu ihm hoch. Sie wurde grob auf die Füße gestellt und fortgezerrt. Hinter ihnen barst das Eis.
Hannah machte den Mund auf, um ihre Rede zu halten. »Hohes Gericht«, begann sie heiser und wurde gleich darauf von einem Hustenanfall geschüttelt. Ihre Augen tränten und von ihrer Stirn strömte der Schweiß. Ihre Hände fühlten sich feucht und glitschig an. Thomas’ Taschentuch war völlig durchnässt.
Der weiße Gipslöwe holte mit der Pranke aus und schlitzte dem Einhorn die Kehle auf. Blut spritzte, floss an der Wand hinunter über das riesige Schwert und tropfte auf den Oberbürgermeister.
Hannah zitterte unkontrolliert.
Der Löwe wandte sich zu ihr um und zeigte ihr knurrend seine spitzen weißen Zähne. Er kletterte an der Wand herab und bewegte sich langsam auf sie zu. Anmutig tänzelte er über die Tische und Stühle der Geschworenen und Gerichtsbeamten.
»Hannah Cheshire, können Sie etwas zu Ihrer Verteidigung anführen?«, wiederholte der Gerichtsdiener.
Der Löwe kam näher. Seine Augen brannten wie Feuer. Die Zuschauer auf der Empore flüsterten und kicherten. Auf einmal kauerte sich der Löwe zusammen und setzte zum Sprung an.
»Nein«, flüsterte Hannah und hob die Arme, um sich zu schützen. Das Taschentuch fiel ihr aus der Hand.
Alles drehte sich um sie. Sie sank in sich zusammen und fror und glühte zur selben Zeit. Die Feuchtigkeit auf dem Boden tränkte ihren Rock. Die Geschworenen erhobensich, um ihr Urteil zu verkünden. Sie sprachen laut, aber Hannah konnte nichts verstehen, weil es im Brüllen des Löwen unterging.
Wie von fern hörte sie die Stimme des Oberbürgermeisters: »Es wird daher gerichtlich angeordnet, dass Sie nach Übersee deportiert und für sieben Jahre an einen Ort verbracht werden, den der Geheime Rat Ihrer Majestät für geeignet erachtet.«
Hannah nahm alles nur noch verschwommen wahr. Sie fragte sich, von wem die Rede war. Doch dann sprang der Löwe sie an. Sie konnte gerade noch Thomas’ Taschentuch retten, danach wurde es dunkel um sie herum.
»Was hast du getan?«, rief der Bär. »Nun hast du einen Fluch über uns gebracht. Hättest du doch nur ein Jahr gewartet, dann wäre ich frei gewesen! Aber nun sind wir entzweit und ich muss dich verlassen und in ein Schloss
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