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Scatterheart

Scatterheart

Titel: Scatterheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lili Wilkinson
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Augen zu.

    »Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit, Frollein.«
    Hannah zuckte zusammen. Der Wärter starrte verächtlich auf sie herab. Er hatte sie von den anderen losgebunden und wartete darauf, sie in den Gerichtssaal zu führen. Hannah blinzelte. War sie etwa eingeschlafen? Sie schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können, aber davon wurde ihr noch schwindeliger. Sie streckte eine Hand aus und stützte sich an der klammen, erdigen Wand ab. Langsam erklomm sie die Stufen, die Fußfesseln zerfetzten ihre Strümpfe und hinterließen rote Striemen auf der Haut.

Scatterheart schob den Riegel der kleinen Tür zurück. Auf der anderen Seite war ein Garten ganz aus Eis. Weiße Blätter klirrten im Wind. In der Mitte des Gartens reckte ein uralter Eisbaum seine Zweige gen Himmel. Daran hing eine einzelne blaue Frucht. Scatterheart pflückte sie. Sie war sehr kalt.
    Oben angekommen öffnete der Wärter eine Tür und stieß Hannah hindurch. Ein eisiger Luftzug schlug ihr entgegen, dann nahm sie den Geruch von brennenden Kräutern und Essig wahr. Der Fußboden war feucht und die kleinen Schnitte und Schrammen an ihren Füßen brannten. Die Dielen hatten eine rote Färbung, als wären sie mit Wein gewaschen worden. Hannahs Augen tränten.
    Zwei uniformierte Männer führten sie zu einem vergitterten Holzpodest, in dem sie während der Verhandlung stehen musste. Der Gerichtssaal war überfüllt. Die Zuschauerhielten sich Taschentücher vor den Mund, als Hannah an ihnen vorbeiging. Eine heiße Welle der Scham und Empörung überflutete sie. Was taten all diese Leute hier?
    Der prachtvolle Saal hatte hohe Decken und eine Empore, auf der sich die Zuschauer drängelten, um etwas sehen zu können. Die großen Fenster und Türen standen sperrangelweit offen, sodass der tosende Wind von draußen hereinwehte. Die schwarzen Samtvorhänge waren vom Eisregen durchnässt, der durch die Fenster in den Saal sprühte. Überall brannten große, offene Kohlenbecken, aus denen ein giftiger Rauch stieg, der Hannah schwindelig machte.
    Sie sah zu den Geschworenen und den Richtern hinüber. An der Wand über dem Thron des Oberbürgermeisters hing ein riesiges, mehr als mannsgroßes Schwert. Darüber waren ein Löwe und ein Einhorn, die eine Krone gepackt hielten.
    Der Oberbürgermeister saß auf seinem Thron. Er trug eine schwarze Robe mit einer goldenen Amtskette und sah sehr streng aus. Vor ihm, in einem abgezäunten Bereich ähnlich dem der Zeugen und der Angeklagten, saßen die Geschworenen. Der Rauch biss in Hannahs Augen. Sie stützte sich schwer auf den vor ihr stehenden Tisch.
    Ein Gerichtsdiener kam herbei und hielt ihr eine Bibel hin. Sie streckte ihre Hand aus und berührte den Ledereinband. Ihre Finger waren schmierig vor Schweiß.
    »Wie wollen Sie vereidigt werden?«, fragte der Gerichtsdiener. Er kaute energisch auf einer seltsamen schwarzrötlichen Masse herum. Sein Atem stank nach Orangenschale, Kümmel und Knoblauch.
    »Auf Gott und Vaterland«, antwortete Hannah mit zitternder Stimme.
    Der Gerichtsdiener drehte sich zum Richtertisch um und gab laut bekannt: »Hannah Cheshire ist des heimtückischen Diebstahls von einem Paar Saphirohrringen angeklagt, Wert einundvierzig Schilling.«
    Ein Murmeln ging durch den Saal, als Hannahs Name genannt wurde. Hannah erinnerte sich daran, wie Long Meg wissend gelächelt hatte, als sie Arthur Cheshire erwähnt hatte, und wie der Wärter ihre Hand abgeschüttelt hatte. Ihr war unwohl und heiß, obwohl es im Saal eiskalt war.
    Ein Mann erhob sich und schwor auf die Bibel. Hannah erkannte ihn sofort an seinem krausen roten Schnauzbart.
    »Ich heiße Samuel Smith«, sagte er. »Ich habe einen Laden in der Monmouth Street. Vor einigen Wochen kam die Gefangene herein und wollte eine goldene Halskette versetzen. Während sie da war, stahl sie ein Paar Saphirohrringe von der Auslage.«

    Der Hunger trieb Hannah am nächsten Morgen wieder aus dem Haus.
    Sie wusste kaum, welche Tageszeit es war oder ob es überhaupt Tag war. Die Läden waren spärlich beleuchtet, die Fenster von Eisblumen überwuchert.
John Wheeley, Uhrmacher. Jack Picard’s Tapetenlager. Goodman & Flute, Tabake & Schnupftabak
.
    Aus einer Küche waberte der Duft von frisch gebackenem Brot. Hannahs Magen knurrte und sie leckte sich die Lippen. Aber sie eilte weiter, bis sie ein Schild
Samuel Smith, Pfandleiher und Silberschmied
entdeckte. Sie spähte durch das Fenster und sah Schmuck, Uhren, Porzellan, Silberbesteck und

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