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Scatterheart

Scatterheart

Titel: Scatterheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lili Wilkinson
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Kerzenleuchter, Schuhe, Hüte, Mäntel und Korsetts. Über der Tür befand sich eine Aufschrift:
Nicht eingelöste Waren en gros und einzeln zu verkaufen. Geldverleih
.
    Hannah drückte die Klinke hinunter.
    Der Mann hinter der Theke blickte hoch. Er hatte einen roten Schnauzbart und kurz geschnittenes, lockiges Haar. Auf seinem Hemd waren bräunliche Fettflecken und in seinen Mundwinkeln war etwas Weißes, Krümeliges.
    »Hast du dich verlaufen?« Er sah sie misstrauisch an.
    Hannah setzte eine geschäftsmäßige Miene auf.
    »Ich brauche etwas Geld. Ich habe hier eine Halskette.«
    Sie öffnete ihren Pompadour und legte die Kette auf die Theke. Sie war aus Gold mit eingefassten blauen Topasen. Der Mann – vermutlich Mr Smith – holte ein Augenglashervor und untersuchte die Kette. Hannah hörte ihn atmen, ein schleimiges, rasselndes Geräusch.
    »Woher hast du die?«, fragte er.
    Eine Welle von Scham überflutete Hannah. Verärgert riss sie sich zusammen. Es gab nichts, wessen sie sich schämen musste. »Mein Vater hat sie für mich gekauft«, sagte sie.
    Mr Smith leckte sich die Lippen. »So, so, dein Vater hat sie dir gekauft?«
    Hannah biss die Zähne zusammen. »Ja, sein Name ist Arthur Cheshire. Er ist zurzeit geschäftlich in Paris. Er kann jeden Tag zurückkommen, aber ich brauche ein bisschen Bargeld. Sobald er wieder in London ist, wird er die Kette auslösen.«
    Kaum hatte sie den Namen ihres Vaters erwähnt, sah Mr Smith auf und beugte sich zu ihr hinüber. Hannah trat einen Schritt zurück. Sein Atem stank.
    Mr Smith ließ seinen Blick über sie wandern und blieb an ihren Ohren hängen. Hannah hob tastend die Hand und spürte die Saphirohrringe.
    »Ich würde lieber die hübschen blauen Ohrringe nehmen«, sagte er.
    Hannah schluckte. »Nein«, entgegnete sie um einen entschiedenen Ton bemüht, »nur die Kette.«
    »Erstklassiges Stück«, brummte Mr Smith, ohne seine Augen von den Ohrringen abzuwenden. »Die würden einen hübschen Preis erzielen.«
    »Nein danke«, sagte Hannah, »ich möchte sie behalten.«
    »Sind das wirklich deine?«, fragte Mr Smith.
    Hannah erinnerte sich plötzlich an Mr Behr, der am Kamin im Salon gestanden und gesagt hatte:
»Er hat den Mann fast umgebracht und sein Geld und seine Wertsachen gestohlen. Am nächsten Tag ist er verschwunden.«
    Sie erinnerte sich, dass die Ohrringe in ein schmutziges Leinentuch eingewickelt waren, als ihr Vater sie ihr gegeben hatte. Warum hatte sie sich nicht gewundert, dass sie nicht in einer Schachtel mit Seidenpapier und Schleife verpackt waren?
    Hannah ballte die Fäuste, um das Zittern ihrer Hände zu unterdrücken. Ihre Fingernägel gruben sich in ihre Handflächen. Der Pfandleiher knurrte etwas und warf wieder einen Blick auf die Halskette.
    »Fünf Schilling«, sagte er.
    Hannah wusste nicht, ob der Preis für die Kette angemessen war, aber sie nahm das Geld und rannte hinaus.

    Hannah kam es vor, als zuckte der Schweif des Löwen über dem Thron des Oberbürgermeisters, doch als sie genauer hinschaute, sah sie nur den weißen Putz. Ihre Augen brannten so stark, dass sie sie zusammenkneifen musste.
    »Aufrecht stehen, junge Frau«, zischte der Gerichtsdiener. »Und den Blick auf den Oberbürgermeister.«
    Hannah schlug die Augen auf, der Saal schien vor ihr zu verschwimmen.
    »Meine Augen …«, stammelte sie.
    Der Gerichtsdiener achtete nicht weiter auf sie. Ein anderer Mann erhob sich und schwor auf die Bibel. Hannah meinte ihn schon einmal gesehen zu haben, konnte sich aber nicht mehr genau erinnern. Er trug einen großen Ring am Finger, der im Licht glitzerte. Sie musste husten, ihr Hals war entzündet und geschwollen. Die Fußfesseln brannten auf ihrer Haut.
    »Ich heiße John Higgins. Vor zwei Wochen habe ich Eintrittskarten für eine Vorstellung auf dem Frostmarkt verkauft, da ist die Gefangene mit ein paar anderen Raufbolden gekommen und hat mich aufs Eis geschubst. Und dann sind sie alle, ohne zu zahlen, in die Vorstellung gegangen.«

    Als Hannah den Laden des Pfandleihers verließ, kam ihr die Welt ganz verändert vor. Der Nebel hatte sich gelichtet, der Himmel färbte sich allmählich blau und es zeigten sich die ersten fahlen Sonnenstrahlen.
    Waren die Straßen tags zuvor noch menschenleer gewesen, waren sie nun von Gruppen junger Leute bevölkert. Es waren Bürger, keine vornehmen Herrschaften, aber sie sprachen einigermaßen kultiviert. Sie schienen alle ihrenSonntagsstaat angelegt zu haben und Hannah dachte zuerst, sie

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