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Scatterheart

Scatterheart

Titel: Scatterheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lili Wilkinson
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knurrte das Einhorn an, das hinter der Krone Deckung genommen hatte.
    Der Gerichtsdiener gab Hannah einen Stoß. Die Berührung durchzuckte sie wie tausend Nadelstiche und sie schrie vor Schmerz auf. Das Licht brannte in ihren Augen. Der Wachtmeister, der sie auf dem Frostmarkt festgenommen hatte, legte ihre Saphirohrringe auf das Richterpult.Sie wurden vom Oberbürgermeister und den Geschworenen eingehend gemustert und dann an Samuel Smith weitergereicht. Dieser ließ sie in seine Westentasche gleiten.
    »Können Sie etwas zu Ihrer Verteidigung anführen?«, fragte der Gerichtsdiener.

    Das Rundtheater bestand lediglich aus einer zum Sternenhimmel offenen Manege, die von einer sieben Fuß hohen Bretterwand umgeben war. Oberhalb der Wand waren Holzbänke, von wo aus die Zuschauer in die Manege hineinschauen konnten. An der Seite war eine kleine Tür eingelassen.
    Hannah quetschte sich auf eine der Bänke. Neben ihr saßen zwei Männer, die nach Bier stanken, und eine übertrieben geschminkte Frau.
    Fackellichter zuckten und warfen seltsame Schatten auf die Bretterwand und in die Manege.
    Dann trat einer der Kartenverkäufer vor.
    »Sehr verehrte Damen und Herren«, rief er. Seine Stimme dröhnte durch das Theater. »Heute Abend präsentieren wir Ihnen eine Sensation, wie sie London noch nie gesehen hat. Eine riesengroße Kreatur, ein schreckliches Ungeheuer, böse und mörderisch. Ein Eisbär vom Nordpol, der grausamste und gefährlichste Bär, den es gibt. ErlebenSie heute Abend dieses Ungeheuer im Kampf gegen die besten Kampfhunde Londons.«
    Die Menge klatschte und stampfte mit den Füßen.
    Hannah rührte sich nicht. Ihr war eiskalt.
    Der Mann kletterte aus der Manege und läutete mit einer Messingglocke, die in der Nähe der Zuschauerbänke hing. Die Tür ging auf.
    »Du darfst überall hingehen und alles tun, was du willst«, sagte der Bär. »Aber öffne niemals diese kleine Tür.«
    Stille trat ein. Die Menschen warteten. Eine Frau lachte hysterisch auf und wurde zischend zum Schweigen gebracht. Die hölzernen Wände knarrten.
    Plötzlich durchschnitt ein Laut die Stille, der die Frauen aufkreischen ließ. Ein heiserer Schrei, wie Hannah ihn noch nie gehört hatte. Ein mächtiges, gewaltiges Brüllen, voller Schmerz und Wut.
    Dann kam das Tier durch die Tür in die Manege.
    Es bewegte sich langsam und setzte zögernd eine Tatze vor die andere. Schnüffelnd zog es die Luft ein und stieß ein kehliges Knurren aus.
    Der Bär war nicht so groß, wie Hannah vermutet hatte. Zwar größer als ein Schaf, aber kleiner als eine Kuh. Er war mager und sein Fell hing in großen Lappen von seinen ausgemergelten Schultern und seinem langen, nach unten geneigten Hals. Er hatte nichts mit Hannahs Vorstellung von dem weißen Bären aus dem Märchen gemeinsam. Sein Fell war stumpf und verfilzt, die Farbeeher ein schmutziges Gelb als das reine Schneeweiß, das sie sich ausgemalt hatte. Aufgeregt und angsterfüllt warf er seinen Kopf hin und her.
    Hannah wurde übel. Dort, wo seine Augen gewesen waren, zeigten sich zerklüftete, tränende offene Wunden. Die Augen waren ausgebrannt worden und er tappte blind umher.
    Der Bär drückte sich an die Bretterwand. Die Zuschauer grölten und bewarfen ihn mit Flaschen und Essensabfällen. Er schrie wieder, ein tiefes rasendes Brüllen.
    Ein schriller Pfiff ertönte, worauf zwei Hunde in die Manege gelassen wurden. Es waren große Hunde – fast so groß wie der Bär. Der eine war grau gefleckt und hatte eine spitze Schnauze, der andere war schwarz mit einer braunen Schnauze. Mit schäumenden Lefzen stürzten sie sich auf den Bären und schlugen ihm die Zähne in die Seite. Blut spritzte auf das Eis und die Menge jubelte. Der Bär drehte sich blitzartig um, so schnell, wie Hannah es nicht für möglich gehalten hätte, und holte mit seinen großen scharfen Krallen aus. Der schwarze Hund wurde gegen die Bretterwand geschleudert. Er jaulte, stand aber gleich wieder auf den Beinen. Fellfetzen flogen durch die Luft. Hannah saß regungslos da. Der Bär tastete brüllend nach seinen Angreifern.
    Der gefleckte Hund schoss auf ihn zu und verbiss sich in seine Flanke. Mit einem gewaltigen Brüllen wirbelte der Bär herum. Er packte den grauen Hund mit den Zähnenund zermalmte ihn knurrend. Knochen knirschten und splitterten. Der schlaffe Körper des Hundes fiel auf den Boden. Der Bär richtete sich auf und brüllte wieder. Das gelbliche Fell um sein Maul war rot verfärbt.
    Er schüttelte den Kopf.

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