Scatterheart
herüberklettern?«
Molly blickte sie mit ihrem angsterfüllten Auge an.
»Schon gut«, schrie Hannah, »ich fange dich auf, wenn du fällst. Du musst nur bis zum Vorsteven klettern, nur weg vom Wasser!«
Molly kniff ihr Auge zu und erst nach einer Weile, die Hannah wie eine Ewigkeit vorkam, setzte sie sich in Bewegung. Zentimeter um Zentimeter kroch sie am Bugspriet entlang, das Auge die ganze Zeit fest geschlossen. Mit einem plötzlichen Ruck stürzte das Schiff in das nächste Wellental hinab und Molly verlor den Halt. Sie schlitterte und purzelte über den Bugspriet, krachte gegen den Bug und fiel dann mit einem Knall auf das untere Vorderdeck.
Hannah eilte zu ihr und half ihr auf die Füße. Sie war bei Bewusstsein, sah jedoch sehr benommen aus. Rasch schleppte Hannah sie zu der niedrigen Tür, die zu den Kabinen des Oberdecks führte. Die Tür hatte aber keine Klinke, denn sie konnte nur von innen geöffnet werden.Hannah hämmerte, trat gegen das vor Nässe glänzende Holz und schrie, doch ihre Stimme wurde vom Tosen des Sturms verschluckt.
Von überall her stürzte Wasser auf sie ein, als wollte das Meer sie und Molly verschlingen und in das Grab von Davy Jones zerren. Ihre Glieder wurden lahm und ihr nasses Kleid zog schwer an ihr, während Molly vor Angst und Kälte zitternd an ihrem Arm hing.
Der Doktor stand immer noch an der Reling des Vorderdecks und starrte auf sie hinab.
»Helfen Sie uns, verdammt noch mal!«, schrie Hannah. Er rührte sich nicht, sondern blickte sie nur weiter an. Hannah meinte, die Spur eines Lächelns in seinem zerstörten Gesicht wahrzunehmen. Er sah schrecklich aus. Seine Nase war vollständig zusammengefallen und seine eingesunkenen Wangen waren an den Stellen, wo Meg ihn mit dem Messer getroffen hatte, von dicken schwarzen Striemen verunziert. Das eine Auge war gerötet und tränte, das andere war von einem schwarzen Film überzogen. Die von weißen Pusteln übersäten Lippen waren zum Fünffachen ihrer ursprünglichen Größe angeschwollen und gaben den Blick auf verfaulte Zähne und schwarze Speichelfäden frei.
Hannah schaute ihm direkt in die Augen.
»Ich werde dafür bezahlen, das verspreche ich. Alles, was Sie wollen.«
Molly packte Hannah an der Hand.
»Er ist mir nachgegangen, Hannah. Ich wollte nur ein bisschen an die Luft und die Sterne angucken und nach dem Geisterschiff Ausschau halten. Aber dann ist er hinter mir her und ich bin gerannt, bis es nicht mehr weiterging, schließlich bin ich geklettert.«
Hannah sah ihn immer noch an.
»Alles.«
Einen Augenblick lang dachte Hannah, er wollte fortgehen. Aber dann legte er sich bäuchlings auf das Vorderdeck, schob sich mit dem Oberkörper über den Rand und streckte seine Hand nach ihnen aus.
Hannah reckte ihrerseits den Arm in die Höhe, schlang den anderen um Molly und hüpfte hoch. Dr. Ullathorne bekam sie zu fassen und zog.
In diesem Moment stürzte wieder eine Riesenwelle auf sie herab. Aber der Doktor ließ nicht locker und hievte sie auf das Vorderdeck hinauf.
Hannah sah nach unten. Die kleine Plattform, auf der sie eben noch gestanden hatten, war jetzt vom Wasser überspült, das gierig ins Meer zurückströmte. Hannah erschauderte bei der Vorstellung, dass sie und Molly beinahe mit hinausgespült und auf dem Grund des Meeres gelandet wären.
Nach Luft ringend blieb sie eine Weile auf dem Deck liegen und versuchte ihre Tränen zu unterdrücken. Dann rappelte sie sich auf und trat vor den Doktor. Sogar durch den Sturm hindurch konnte sie sein stinkendes Fleischriechen. Er hatte Molly bereits auf die Beine gestellt und hielt sie an der Schulter fest.
»Danke«, sagte Hannah.
Der Doktor lächelte. Seine Lippen waren so aufgedunsen, dass er seinen Mund nicht mehr schließen konnte.
»Keine Ursache«, sagte er und wandte sich an Molly.
»Komm, meine Kleine.«
Molly drehte sich entsetzt zu Hannah um. Wind und Regen peitschten ihr dicke Haarsträhnen ins Gesicht.
Hannah streckte die Hand nach ihr aus. »Molly, komm jetzt.«
»Das glaube ich kaum«, sagte Dr. Ullathorne.
Hannah starrte ihn verständnislos an. »Wieso, was meinen Sie?«
»Du hast gesagt: Alles, was ich will. Ich will sie. Und keine weiteren Einmischungen mehr. Keine nächtlichen Besuche von deinen Freundinnen. Ich kann Gartside nicht ständig Märchen erzählen.«
Molly versuchte sich loszureißen, aber Dr. Ullathorne hielt sie eisern fest.
»Warum?«, fragte Hannah. »Was wollen Sie denn von ihr?«
»Sie untersuchen«, sagte
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