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Scatterheart

Scatterheart

Titel: Scatterheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lili Wilkinson
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verschwunden. Auch in einem der anderen Betten war sie nicht. War sie bei diesem Wetter etwa nach oben gegangen?
    Seufzend kletterte Hannah aus ihrer Koje und stakste durch den Gang zur Treppe. Das Wasser schwappte um ihre Füße. Ihre Beine waren steif vor Kälte und schmerzten. Sie zog sich die Stufen zum Unterdeck hinauf.
    Das Schiff, von Wind, Regen und Wellen gebeutelt, ächzte und kreischte in seinen Spanten. Hannah ließ sich auf alle viere nieder und erklomm die Treppe zum Oberdeck. Die Falltür war geschlossen und sie musste erst eine Weile mit dem Riegel kämpfen, bis sie endlich aufging. Wind und Regen schlugen ihr von allen Seiten entgegen. Molly konnte unmöglich dort oben sein.
    Kein einziger Matrose war an Deck. Die Segel waren aufgerollt und sämtliche Taue und Stücke gesichert.
    Hannah konnte Molly nirgendwo sehen. Sie war gerade im Begriff, den Riegel wieder vorzulegen, als sie einen Schrei hörte. Sie spähte durch den Regen und nahm auf dem Vorderdeck eine dunkle Gestalt wahr.
    Nun kroch sie vollends durch die Luke und krabbelte auf Händen und Füßen zu der Treppe, die auf das Vorderdeck führte. In der Takelage heulte und kreischte der Wind. Als sie hochsah, bemerkte sie zwischen den Kanonen eine schwarz gekleidete Gestalt. Sie war viel zu großund zu kräftig, als dass es Molly hätte sein können. Dann hörte sie ein Dröhnen.
    Sie drehte sich um und schrie. Eine riesige Welle, größer als sie sich je hätte vorstellen können, baute sich über dem Schiff auf. Sie schwoll brodelnd an und hing einen Moment lang wie in der Schwebe.
    Die Gestalt auf dem Deck hatte sich bei Hannahs Schrei umgedreht und just in dem Moment, als die Welle auf sie hereinbrach, sah Hannah ihr Gesicht.
    Es war Dr. Ullathorne.
    Hannah wurde auf das Deck geschleudert. Der Aufprall presste die Luft aus ihrer Lunge und ihr Kopf schlug hart auf die Planken. Salzwasser drang ihr in Mund und Nase und sie wurde von der Strömung des zurückfließenden Wassers zum Ozean hingezogen. Irgendwie gelang es ihr, sich mit tauben Fingern an ein Geländer zu klammern. Sie rang nach Luft.
    Dr. Ullathorne beugte sich über die Reling und schrie etwas in den Wind. Hannah blinzelte das Wasser aus ihren Augen fort und erkannte ein zweites Gesicht.
    Es war Molly, die sich mit schreckverzerrter Miene im Takelwerk des Bugspriets festkrallte. Hannah zog sich hoch und stieg die Stufen hinauf.
    Und dann fielen sie. Die
Derby Ram
stürzte bugwärts in ein mörderisch tiefes Wellental. Das Schiff kippte bedrohlich nach vorn und die Stufen, die Hannah gerade noch erklommen hatte, neigten sich plötzlich nach unten.
    Molly schrie wieder, es war ein hoher, durchdringender Laut. Hannah schlitterte über das Vorderdeck, das auf der Höllenfahrt des Schiffs beinahe senkrecht nach unten zeigte. Sie erhaschte einen flüchtigen Blick auf Molly, die kreischend an einem Seil baumelte.
    Mit einem ohrenbetäubenden Knall schlug das Schiff am Boden des Wellentals auf. Die Spanten quietschten und bebten, als würden sie auseinanderbrechen. Hannah spürte, wie sich die Planken unter ihren Füßen bewegten, und dachte einen Moment lang, die
Derby Ram
würde zertrümmert werden. Doch das Schiff richtete sich sofort wieder auf und das Deck war wieder horizontal. Hannah zog sich weiter hoch. Der Doktor achtete nicht auf sie, sondern schaute ausdruckslos zu Molly.
    Die hing am Bugspriet, unter ihr kochte der Ozean.
    Hannah beugte sich über die Reling und schrie: »Molly! Pack meine Hand!« Aber Molly war zu weit weg.
    Hannah drehte sich zu Dr. Ullathorne um.
    »Helfen Sie!«, rief sie. »Holen Sie Hilfe!«
    Doch Dr. Ullathorne wandte seinen Blick nicht von Molly. Hannah sah in das brodelnde Wasser hinunter und biss die Zähne zusammen. Sie schwang erst das eine, dann das andere Bein über die Reling des Vorderdecks. Mit der einen Hand hielt sie sich hinten am Geländer fest, mit der anderen angelte sie nach einem Seil. Dann beugte sie sich vor, ließ das Geländer los und streckte die nun freie Hand Molly hin.
    Eine neue Welle schlug krachend gegen das Schiff. Das Wasser traf Hannah mit solcher Gewalt, dass sie den Halt verlor und auf den weiter unten liegenden Teil des Vorderdecks stürzte. Dort bekam sie den Vorsteven zu fassen, was sie daran hinderte, über Bord gespült zu werden. Sie schaute zu Molly hoch, die sich immer noch an dem gefährlich auf und ab kippenden Bugspriet festklammerte.
    »Molly!«, schrie Hannah. »Kannst du bis zu mir

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