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Scatterheart

Scatterheart

Titel: Scatterheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lili Wilkinson
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Ankunft in Port Jackson und der Wiedervereinigung mit Thomas. Ihre Erzählungen von Mr Bärs Abenteuern wurden immer fantastischer. Manchmal stellte sie sich sogar vor, dass Thomas sie auf dem Rücken eines weißen Elefanten empfinge. Sein Kopf war mit Blumenkränzen geschmückt, die ihm von dankbaren Eingeborenen geschenkt worden waren, nachdem er ihr Dorf vor plündernden Banditen gerettet hatte.
    »Und was hat Mr Bär gemacht, nachdem er im Eingeborenendorf war?«, fragte Molly. Sie saßen spätabends noch auf ihren Betten und plauderten.
    Hannah gähnte. »Ach, das hat etwas mit einem Vulkan zu tun.«
    »Was?«
    »Er … äh … er hatte eine Schatzkarte, die ihn zu einem unermesslichen Schatz in einem Vulkan geführt hat.«
    »Und ist ihm was passiert?«
    »Aber nein«, erwiderte Hannah. »Ihm wurde nicht mal ein Haar gekrümmt.«
    »Und wann hat er die Hexe getroffen?«, fragte Molly weiter.
    »Welche Hexe?«
    »Na, die Hexe, die ihn in einen Bären verwandelt und ihn in das Land östlich der Sonne und westlich des Mondes verbannt hat.«
    Hannah schüttelte den Kopf. »Aber das ist doch eine ganz andere Geschichte. Und ein anderer Bär.«
    »Nein«, protestierte Molly, »es ist immer derselbe Mr Bär. In beiden Geschichten.«
    Es dauerte drei Wochen, bis aus dem Fleck am Horizont wirklich Land wurde. Hannah zählte die Kerben über Megs Bett – sie waren fünf Monate auf See gewesen.
    Die gefangenen Frauen standen auf den oberen Decks und beugten sich über die Reling oder spähten durch die Geschützpforten. Alle hatten Bündel unter den Armen, die ihre Decken und wenigen Habseligkeiten enthielten. Hannah hatte ihre Decke im Orlopdeck zurückgelassen. Sie brauchte sie nicht, denn Thomas würde ein anständiges Bett für sie haben.
    Ihr einziger Besitz war sein sauber zusammengefaltetes Taschentuch, ein schmuddeliges, ausgefranstes Stück Stoff, das Hannah jedoch behutsam und zärtlich in ihrer Hand behielt.
    Die Sonne schien hell und warm, auch wenn der Wind immer noch kühl war. Der salzige, frische Seegeruch vermischte sich mit einem anderen, würzig, scharf undstechend. Die gefangenen Frauen jubelten und weinten zugleich. Hannah presste Mollys Hand so fest, dass diese sich jammernd wand.
    Hannahs Augen schmerzten von der gleißenden Sonne auf dem blauen Wasser. Sanfte Hügel wellten sich bis zum Ufer hinab, ein graugrünes Pflanzendickicht, das Hannah an eine undurchdringliche Dornröschenhecke erinnerte. Darüber ragten seltsame Bäume mit spiralartigen Ästen und glatter, fleischfarbener Rinde auf, deren Stämme Ausbuchtungen und Vertiefungen hatten, die wie menschliche Gliedmaßen aussahen. Manche machten den Anschein, als würden sie grüßend ihre Arme ausstrecken. Andere waren wie Liebende ineinander verschlungen.
    Befehle ertönten und Matrosen drängten sich durch die wartenden Frauen. Die Pfeife des Bootsmanns schrillte, die Leinen wurden gelockert und das Steuerrad so lange gedreht, bis sich die
Derby Ram
langsam auf die graugrünen Hügel zubewegte.
    Das Meer drückte gegen das Ufer, schob sich ins Land hinein und wurde zu einem Fluss, der sich wie eine Schlange um jede weiße Strandkrümmung und grüne Einbuchtung wand, bevor er weiterzog und sich immer tiefer zu den blaugrauen Bergen im Westen hin grub.
    Molly beugte sich waghalsig über die Reling, hinter ihr auf dem Deck lag das Bündel mit ihrer Decke.
    »Sieh nur, Hannah!«, schrie sie. »Das ist wie im Paradies.«Auf den gewundenen Zweigen hockten Hunderte von rosa und grauen Vögeln. Als das Schiff näher kam, erhoben sie sich und flogen heiser krächzend in geschlossener Formation davon.
    Hannah lachte.
    »Ich glaube nicht, dass Paradiesvögel so einen Lärm machen würden«, sagte sie.
    Molly kicherte.
    Hannah empfand ein überwältigendes Gefühl von Frieden in ihrem Herzen. Endlich. Thomas würde sie erwarten und alles würde gut werden.
    Molly lächelte versonnen. »Hannah, wir haben es geschafft«, flüsterte sie, »östlich der Sonne und westlich des Mondes.«
    Hannah schaute neugierig hierhin und dorthin. Sie wollte die Bucht von Sydney sehen, wo Thomas in seiner Uniform auf sie wartete. Sie würde ihn unter den vielen jubelnden Schaulustigen sofort erkennen. Und er würde das Missverständnis um ihre Verhaftung aufklären. Sie würde freikommen.
    Sie näherten sich einer Landspitze mit einem gepflegten Rasen und ordentlich gestutzten Büschen und Bäumen. Auf einer Steinbank saß eine Frau, die sich mit einem Schirm vor der

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