Scatterheart
Staunen, als die
Derby Ram
in den Hafen eingelaufen war. Vielleicht war Sydney wirklich die schönste Stadt der Welt. Sie seufzte und starrte weiter aus dem Fenster.
»Aber was kann man hier tun?«, fragte sie nach einer Weile und dachte an die ständige Langeweile, unter der sie litt. »In London gibt es ständig Feste, Picknicks und Bälle …« Sie unterbrach sich. Was redete sie da? Sie war nie auf einem Ball oder einem Fest gewesen. Sie hatte sich in London genauso gelangweilt, außer wenn sie Unterricht bei Thomas hatte.
Die junge Frau lachte. »Das gibt es hier ebenfalls. Und wir gehen auch reiten, jagen und fischen. Aber meistens sind wir am Strand.«
»Am Strand?« Hannah war nie in Brighton gewesen, aber sie hatte gehört, dass die Seeluft besonders gut für die Lunge sein sollte.
Das Mädchen seufzte und blickte verträumt in die Ferne. »Ich liebe den Strand«, sagte es. »Das Wasser ist oft sehr kalt, aber wenn man einmal drin ist, ist es herrlich.«
»Du
schwimmst?
In der
Öffentlichkeit?«
Das Mädchen schaute sie beschämt und gleichzeitig herausfordernd an. »Sie als Exklusive machen so etwas natürlich nicht.«
Hannah errötete.
»Aber es gibt nichts Schöneres auf der Welt, Madam! Das Wasser ist so kühl und frisch und sprudelt wie Champagner. Man fühlt sich leicht wie eine Feder. Als ob man flöge.«
Hannah lächelte. Das klang wirklich schön.
»Und danach der sonnenwarme Sand. Einfach himmlisch.« Hannah hob ihre Arme hoch und das Mädchen streifte ihr das rosa Musselinkleid über den Kopf. Dann machte es flink die Knöpfe zu und bat Hannah an den Frisiertisch, um ihr die Haare zu machen.
Im Spiegel sah Hannah ihre verwuschelten kurzen Haare und sagte errötend: »Das ist in London zurzeit der letzte Schrei.«
Die Tür ging auf und James erschien.»Bist du fertig?«, fragte er, ohne das Mädchen auch nur eines Blickes zu würdigen. »Wir speisen mit den Gormans.«
»Mit wem?«, fragte Hannah nach.
Das Mädchen knickste und ging. Da James keine Anstalten machte, zur Seite zu treten, musste es sich an ihmvorbei durch die offene Tür quetschen. Er starrte ihr unverhohlen in den Ausschnitt.
»Die Gormans. Eine der besten Familien von Castle Hill.«
Hannah erhob sich widerstrebend von ihrem Frisiertisch. James kam und hakte sie unter. Er roch nach Whiskey und Zigarren.
In der Empfangshalle des Hotels begegnete ihnen ein untersetzter rothaariger Mann mittleren Alters.
»Guten Abend, Leutnant«, begrüßte er James.
»Dr. Redfern«, erwiderte dieser, »darf ich Ihnen Hannah vorstellen? Ich habe Ihnen von ihr erzählt.«
Der Mann verbeugte sich. »Sehr erfreut, Sie kennenzulernen«, sagte er.
»Dr. Redfern ist stellvertretender Koloniearzt«, erklärte James. »Er hat Anfang des Jahres den ersten Sohn von Gouverneur Macquarie entbunden.«
Hannah knickste ein wenig steif und dachte an ihre letzte Begegnung mit einem Arzt. Eine verlegene Pause trat ein und Dr. Redfern sah fragend zu James.
»Ach«, sagte dieser und klopfte mit einer übertriebenen Geste auf seine Rocktaschen, »ich glaube, ich habe meine Schnupftabakdose oben gelassen.«
Der Doktor lächelte. »Ich werde mich um sie kümmern, bis Sie wieder da sind.«
James nickte und ging.
»Der Leutnant hat mir erzählt, dass Sie krank waren«, sagte Dr. Redfern.
»Nein«, erwiderte Hannah, »ich bin nicht krank.«
Dr. Redfern nickte verständnisvoll. »Dies hier ist ein raues Land. Es ist nicht einfach für zarte Frauen, hier zu gedeihen.«
Hannah versuchte zu lächeln. Sie dachte an das Dienstmädchen vom Hotel. Sie schien hier allerdings sehr gut zu gedeihen.
»Sie wissen, dass es Leutnant Belfortes größter Wunsch ist, Sie glücklich zu machen«, fuhr Dr. Redfern fort. »Und er möchte unbedingt, dass Sie ihm einen Sohn schenken.« Hannah wurde plötzlich schwindelig.
»Ach«, stieß sie hervor, »darum geht es also.«
»Wie alt sind Sie?«, fragte der Doktor.
»Fünfzehn«, antwortete Hannah.
»Ein bisschen jung zum Kinderkriegen«, meinte der Doktor, »aber so etwas passiert schneller, als man denkt.«
»Nicht, wenn ich es verhindern kann«, sagte Hannah bissig. Dr. Redfern betrachtete sie mit zur Seite geneigtem Kopf. »Sie sind hier nicht glücklich«, stellte er fest.
Hannah zuckte gleichgültig die Achseln. »Nein, aber ich weiß auch nicht, ob ich irgendwo anders glücklich sein könnte.«
»Sie lieben Leutnant Belforte nicht.« Das war keine Frage.
»Nein, niemals«, erwiderte Hannah.
»Warum sind Sie
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