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Scatterheart

Scatterheart

Titel: Scatterheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lili Wilkinson
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sie.
    »Zweihundert Peitschenhiebe«, erklärte James. »Manchmal wächst die Haut dann nicht mehr nach.«
    Hannah blickte zurück. Quer über das Gesicht des Mannes zog sich eine hässliche Narbe, von der linken Schläfe über das linke Auge, über die Nase, durch die Lippen bis unter das Kinn.
    »Grässlich«, zischte James.
    Auf den Marktständen waren rote, grüne und gelbe Früchte gestapelt, die Hannah nicht kannte. Sie dachte an die Mangos, die sie in Kapstadt gegessen hatte, und dabei fiel ihr auch der scharfe metallische Geschmack von Blut wieder ein, als sie James gebissen hatte.
    Sie war so in Gedanken, dass sie zuerst nicht merkte, dass er zu ihr sprach.
    »Hm?«, machte sie.
    Er sah sie missbilligend an.
    »Ich habe dich gefragt, ob ich für dich etwas besorgen soll, solange wir hier sind.«
    Hannah zögerte. Es war ihr zuwider, ihn um etwas zu bitten, aber sie war der Verzweiflung so nahe, dass sie allen Mut zusammennahm und sagte: »Meinst du, ich könnte vielleicht ein paar Bücher bekommen?«
    Das Missfallen in James’ Miene vertiefte sich. »Wozu willst du denn Bücher haben?«
    »Zum Lesen«, antwortete Hannah. War das nicht klar?
    James schüttelte verständnislos den Kopf. »Ich finde, es gehört sich nicht für eine junge Dame, sich das Gehirn mit diesem Unsinn aus Romanen und Liebesgeschichten vollzustopfen.«
    »Du klingst genau wie mein Vater«, entgegnete sie.
    »Dein Vater war ein vernünftiger Mann«, sagte James.
    Die Kutsche hielt vor einem großen gelben Gebäude. Zwei magere kleine Jungen, barfuß und in kurzen Hosen, rannten herbei, um ihr Gepäck hineinzutragen.
    James kletterte zuerst aus der Kutsche, hinter ihm kam Hannah, die seinen Arm wieder ignorierte.
    Sie betraten das Hotel. In der Empfangshalle war es kühl und ruhig. Der Boden war aus Marmor, die Handläufe der Treppen aus glänzendem Messing. James blickte sich um.»Ziemlich eng«, schnaubte er. »Aber es ist das einzige respektable Hotel am Ort.«
    Hannah fand, es sah hübsch aus. Die beiden kleinen Jungen setzten die letzten Taschen ab und grinsten Hannah und James erwartungsvoll an. Der eine hielt seine Mütze in den schmuddeligen Händen.
    »Danke, Jungs«, sagte Hannah freundlich.
    »Gern geschehn, Miss«, entgegnete der Junge mit der Mütze. Sein fröhliches, pausbäckiges Gesicht war von Sommersprossen übersät. Hannah überlegte, ob Molly ebenfalls durch die Straßen von Sydney zog und reichen Leuten die Taschen trug. Sie wandte sich an James.
    »Hast du ein paar Pennys für die Jungs?«
    »Nein«, sagte er knapp und ging zur Treppe. »Sträflingen gebe ich kein Geld.«
    Hannah errötete und lächelte den beiden entschuldigend zu. Der pausbäckige Junge sah sie finster an, aber der andere zuckte nur die Achseln. Hannah stieg hinter James die Treppe hinauf, blieb aber in der Mitte plötzlich stehen.
    »Bin ich nicht auch einer dieser dreckigen Sträflinge?«, fragte sie.
    James wandte sich zu ihr um und blickte sie scharf an. »Nein«, erwiderte er bestimmt, »du nicht. Du bist eine junge Dame aus gutem Hause. Dein Vater war ein geachteter Londoner Gentleman. Du wirst niemandem erzählen, wie du hierhergekommen bist.«
    Sie bezogen eine kleine Suite auf der dritten Etage des Hotels mit Blick über den Hafen.
    »In Kürze kommt ein Dienstmädchen, das dir beim Ankleiden hilft«, sagte James. »Ich werde dich später abholen und zum Abendessen ausführen.«
    Hannah fragte nicht, was er vorhatte. Es interessierte sie auch nicht.
    Die Suite bestand aus einem kleinen Ankleidezimmer, einem Wohnraum und einem Schlafzimmer. Hannah betrachtete misstrauisch das große Bett mit dem bestickten Damastüberwurf. Niemals würde sie ein Bett mit James teilen, für nichts auf der Welt. Auch nicht für Bücher.
    Sie schaute sich in den Zimmern um und zog die leeren Schubladen und Schränke auf. Ein Page erschien und brachte das Gepäck.
    Hannah setzte sich in einen braunen Samtsessel und stand wieder auf. Was sollte sie nur machen? Es war schlimmer als in James’ Haus. Dort konnte Hannah wenigstens über das Anwesen spazieren.
    Sie ging zum Fenster. In der Nähe des Kais lag ein großes Schiff vor Anker. Hannah überlegte, ob es sich um einen neuen Sträflingstransport handelte. Unter ihrem Fenster schlenderten zwei junge Frauen über die Straße. Sie hatten sich untergehakt und schwatzten lebhaft. Sogar vom dritten Stock aus erkannte Hannah, dass es keine Damen von Stand waren – ihre Hauben waren eindeutig selbst gefertigt und

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